Freitag, 26. Januar 2024

De la Motte, Anders – Stille Falle

Über den Autor

Anders de la Motte ist Jahrgang 1971. Er arbeitete mehrere Jahre als Polizist in Stockholm und in der Security Branche.
Dann wechselte er zur Schriftstellerei. 2010 erhielt er für seinen Debütroman »Game« den Preis der Schwedischen Akademie der Krimiautoren. »Ultimatum« wurde 2015 als bester schwedischer Kriminalroman ausgezeichnet. Mit seinem Kriminalroman »Sommernachtstod« gelang ihm auch in Deutschland der Sprung auf die Bestsellerliste.
Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von Malmö.
(Stand: 2024)


Stille Falle

Ausgabe: Paperback (12/23; 528 S.)

 

 


5 / 5 ⭐️

Der Wechselbalg

Der Autor lässt Kriminalinspektorin Leonore (kurz Leo) Asker in ihrem ersten Fall ermitteln. Er hat damit eine Figur für eine neue Reihe zum Leben erweckt. Bisher schrieb er ausnahmslos Einzelbände.

Leo Asker arbeitet bei der Kripo in Malmö in der Abteilung für Kapitalverbrechen. Sie wird mit den Ermittlungen im Vermisstenfall der neunzehnjährigen Millionärstochter Smilla Holst und deren Begleiter Malik Mansur (kurz MM) beauftragt. Die Beiden sind schon seit einigen Tage verschwunden.

Smilla und Malik haben sich auf eine Höhlenerforschung begeben, von wo sie nicht zurückkehren. Wir erfahren dabei einiges über Urban Exploration (Erkundung sogenannter Lost Places – ein zentrales Thema in diesem Krimi), was der Autor in die Handlung mit eingebunden hat. Das ist interessant und hat mir sehr gut gefallen.

Aufgrund einer Verschwörung gegen ihre Person wird Asker von dem Fall abgezogen. Die Leitung wird Kriminalkommissar Jonas Hellman aus Stockholm übertragen. Die Fäden hat Isabel Lissander von der Kanzlei Lissander und Partner gezogen, pikanterweise die Mutter von Leo. Hellman begeistert durch seine Art die neuen Kollegen. Für mein Empfinden ist er ein Selbstdarsteller und allzu sehr davon überzeugt, dass nur er den Fall lösen kann.

Leo Asker landet als Leiterin in einer sogenannten Reserveabteilung unten im Keller des Hauses. Für dieses »Dezernat der hoffnungslosen Fälle« interessiert sich ansonsten niemand im Haus. Die dortigen Kollegen stehen ihr zunächst kritisch gegenüber. Diese Mitarbeiter sind allesamt Außenseiter und teilweise skurril. Ein starkes Plus für den Autor, wie er die Charaktere darstellt.

Leo ist introvertiert und eine Einzelgängerin. Obwohl ihr der Fall entzogen wurde, stellt sie weitere Ermittlungen an. Wie bei einem Puzzle fügen sich die Teile Stück für Stück zusammen und sie kommt der Spur von Smilla und MM immer näher. Sie merkt dabei nicht, wie sie immer mehr ins Fadenkreuz des Täters gerät.

In eingeschobenen Kapiteln erfahren wir etwas aus der Kindheit und Jugendzeit von Leo. Das ist 17 Jahre her. Sie wird von ihrem paranoiden Vater Per Asker (Prepper-Per) gepiesackt und drangsaliert. Sie nennt ihn Prepper, weil er sich mittels individueller Maßnahmen auf jedwede Art von Katastrophen vorbereitet. Leo muss daran teilnehmen. Das macht sie stark und es kommt ihr bei der späteren Polizeiarbeit zugute.

Außerdem ist auch die Rede von Martin Hill, den sie im Alter von vierzehn Jahren in der Schule kennenlernt. In der Gegenwart begeistert er sich für Urban Exploration und wird Leo bei ihren Ermittlungen eine große Hilfe sein.

Viele Verbindungen und Zusammenhänge zwischen den einzelnen Figuren sorgen für Verwirrung, aber das steigert auch den Spannungsbogen. Und noch etwas hat mich umgetrieben. Was will uns der Ort einer Modelleisenbahnlandschaft und eine Schmetterlingssammlung in Gläsern sagen, worauf soll das hinweisen?

Im weiteren Verlauf sollte man sich an den Anfang der Geschichte erinnern, um einiges besser verstehen zu können. Das Buch endet mit einem Cliffhanger. Damit ist mein Interesse geweckt, wie es weitergeht mit Leo Asker. Das finde ich sehr geschickt vom Autor gemacht.


Fazit:

»Stille Falle« ist ein Krimi der besonderen Art. Ein sehr interessanter und intensiver Plot. Der Autor überzeugt insbesondere durch einen intelligenten Aufbau und eine hervorragende Dynamik (schnell und eindringlich erzählt).
Kurze Kapitel, wechselnde Erzählperspektiven und Retrospektiven (Rückblick auf bereits stattgefundene Ereignisse), die dazu dienen, Leo Asker und ihre bewegte Vergangenheit besser kennenzulernen.
In manchen Szenen habe ich Parallelen zu anderen Thrillern erkannt (z.B. der Spezialermittler Carl Mørck vom Sonderdezernat Q der Kopenhagener Mordkommission in Jussi Adler Olsens Thrillern).
Dieses Buch lediglich einen Kriminalroman zu nennen, wird ihm nicht gerecht. Für mich ist das klar ein spannungsgeladener Thriller.
Man darf auf den zweiten Fall mit Leo Asker gespannt sein. Von mir gibt es fünf Sterne.

Donnerstag, 18. Januar 2024

Fitzek, Sebastian – Mimik

Über den Autor

Sebastian David Fitzek wurde 1971 in Berlin geboren, wo er auch heute mit seiner Familie lebt. Er ist Schriftsteller, Journalist und Moderator. Seinen Debütroman »Die Therapie« veröffentlichte Deutschlands erfolgreichster Autor von Psychothrillern im Jahre 2006. Alle seine bisher erschienen Bücher wurden zu Bestsellern. Er ist der Schwager der Krimiautorin und Ärztin Dr. Sabine Fitzek. 2016 wurde Fitzek als erster deutscher Autor mit dem Europäischen Preis für Kriminalliteratur ausgezeichnet.
(Stand: 2024)


Mimik

Ausgaben: Gebundenes Buch (10/22; 384 S.); Taschenbuch (12/23; 384 S.)


2 / 5 ⭐️

Gesichtsregungen lügen nicht
 

In diesem Psychothriller geht es u.a. darum, um mit Hilfe der Mimik von einzelnen Personen deren Verhalten zu bewerten (z.B. ob Aussagen gelogen oder wahr sind). Was kann man aus den Gesichtsregungen einer Person herauslesen? Dafür hat sich Sebastian Fitzek fachliche Beratung von Dirk Eilert geholt, dem führenden Mimik- und Körpersprache-Experten im deutschsprachigen Raum. Im Anschluss an das Buch erfährt man mehr über die Arbeit von Dirk Eilert.

Für mein Empfinden ist die Mimik (das Erkennen und die Deutung von Gesichtszügen) nicht die Kernthematik in diesem Buch. Hier geht es vordergründig um etwas anderes. Nämlich darum, um bei einem bestimmten Personenkreis schon frühzeitig herauszufinden, ob diese Personen verhaltensauffällig sind. Krude Verschwörungstheorien und Handlungen prägen diesen Psychothriller.

Die Protagonistin heißt Hannah Herbst. Sie berät als Mimikresonanz-Expertin die Berliner Kriminalpolizei und arbeitet dort eng mit Kommissar Fadil Matar zusammen. Kommt die Polizei bei ihren Ermittlungen nicht voran, beobachtet sie bei Verhören genau die Mimik der Verdächtigen. Dies wird uns anhand von einigen Beispielen im Verlauf des Buches auch erläutert (Bsp.: Das Einpressen des linken Mundwinkels bedeutet Missachtung und emotionale Distanzierung).

Bereits auf den ersten Seiten brennt der Autor ein wahres Feuerwerk an Handlungen ab. Da ist im Prolog die Rede von einer Frau, die zusammen mit ihrem Kind auf einem Gleisbett liegt und sich das Leben nehmen will. Ein paar Seiten später hat sich ein Geiselnehmer Zutritt zu einer Kita verschafft und zwei Kleinkinder als Geiseln genommen.

Folgende Fragen stellen sich mir dabei: Gibt es Zusammenhänge zwischen den geschilderten Ereignissen? Handelt es sich bei einem Modus Operandi oder mehreren vielleicht um Deep Fakes? Schon hier setzt Sebastian Fitzek die Messlatte ziemlich hoch. Kann er diesen Spannungsbogen halten oder sogar noch steigern?

Hannah Herbst erwacht im Gefängniskrankenhaus nach einer OP. Sie wurde schwer verletzt. Da sie an einer hormonell bedingten Körperfunktionsstörung leidet, verliert sie nach operationsbedingten Narkosen ihr Gedächtnis.

Sie befindet sich in einer Vollzugsanstalt in Berlin, da die Polizei sie schwer belastet hat. Sie soll ihren Mann Richard und die Stieftochter Kyra im gemeinsamen Haus erstochen haben. Der zwölfjährige gemeinsame Sohn Paul ist verschwunden. Was ist mit ihm geschehen? Woher hat Hannah diese Stichverletzung?

Es kommt noch schlimmer. Es gibt ein Geständnisvideo von ihr, das Fadil Matar aufgenommen hat. Hier gibt sie zu, ihren Mann Richard und die Stieftochter Kyra umgebracht zu haben. Doch entspricht das der Wahrheit oder spielt ihr der Verlust ihres Kurzzeitgedächtnisses einen Streich?

Nachdem der Spannungsverlauf nach dem furiosen Beginn anschließend mehr mit einer waagerechten Linie zu vergleichen ist, wird die Spannung zum Ende hin doch noch einmal gesteigert. Zwischendrin geschehen Dinge, die eins ums andere Mal für Verwirrung sorgen. So viel sei verraten. Der Plot-Twist zum Ende hin bringt eine unfassbare Wahrheit ans Licht, mit der man nicht rechnen konnte.

Fazit:

Nachdem ich erst kürzlich »Die Einladung« vom gleichen Autor gelesen habe und mich dieses Buch nicht überzeugt hat, konnte bei diesem Psychothriller auch keine Begeisterung bei mir aufkommen.
Die Handlungen und Zusammenhänge finde ich bei Fitzek schwer nachvollziehbar.
Die Struktur ist verworren und nicht leicht lesbar.
Aber vielleicht ist es gerade das, was ihn von anderen Autoren abhebt. Bei Psychothrillern von z.B. Arno Strobel oder Linus Geschke finde ich mich jedenfalls besser aufgehoben.
Immerhin ist das Thema Mikroexpression (flüchtige Gesichtsausdrücke, die Sekundenbruchteile dauern) interessant und wird durch das fundierte Wissen von Dirk Eilert in den Plot eingebracht und auch anhand von einigen Beispielen erläutert.
Mehr als zwei Sterne sind aus meiner Sicht allerdings nicht angebracht.

Mittwoch, 10. Januar 2024

Ware, Ruth – Das College

Über die Autorin

Ruth Ware wurde 1977 geboren und wuchs im südenglischen Lewes auf. Nach ihrem Studium an der Manchester University lebte sie eine Zeit lang in Paris. Vor ihrer Karriere als Schriftstellerin arbeitete sie als Kellnerin, Buchhändlerin, Lehrerin für Englisch als Fremdsprache und Pressereferentin.
Ihre ersten drei Bücher wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt und standen auf verschiedenen Bestsellerlisten, unter anderen auch bei der Sunday Times und der New York Times. Sie ist bekannt für ihre psychologischen Kriminalromane.
Heute lebt sie mit ihrer Familie im Norden Londons.
(Stand: 2024)


Das College - In der Nacht kommt der Tod

Ausgaben: Paperback mit Klappentext (12/22; 464 S.); Taschenbuch (12/23; 464 S.)



4 / 5 ⭐️

Das geteilte Leben

Die University of Oxford verfügt über insgesamt 39 Colleges. Die Geschichte, die hier vom Pelham College erzählt wird, ist allerdings ein fiktiver Ort der Autorin. Des Weiteren erfahren wir, dass das College einen weitaus besseren Ruf hat als die meist sportlich orientierten Colleges für Trinkfeste. Die Studentinnen und Studenten kommen überwiegend aus begüterten Privatschulmilieus. Anders ist es bei Hannah, die sich alles hart erarbeiten musste.

Nie wird Hannah den Tag vergessen, als sie vor zehn Jahren die Leiche von April in ihrem gemeinsamen Zimmer entdeckte. Zuvor war ihr auf der Treppe nach unten John Neville mit gesenktem Haupt entgegengekommen. Er war als Pförtner im College angestellt. Er wirkte unnahbar und benahm sich den Kommilitoninnen gegenüber seltsam. Aufgrund Hannahs Aussagen bei der Polizei und anschließend vor Gericht wurde Neville verhaftet und verurteilt.

Damals brach Hannah das Studium sofort ab und ist nie wieder nach Pelham College zurückgekehrt. Zweifel an der Schuld von Neville blieben bei ihr zurück, zumal der mutmaßliche Mörder immer seine Unschuld beteuert hatte. Als Neville zehn Jahre später mit 63 Jahren im Gefängnis an einem Herzinfarkt stirbt, quälen Hannah Gewissensbisse. Ihr Leben wird nie mehr so sein, wie es einmal war.

Sie stellt Nachforschungen an, nimmt Kontakt zu der Clique von damals auf, was einigen nicht recht ist. In erster Linie betrifft dies Will de Chastaigne, der gereizt und manchmal sogar zornig reagiert, wenn Hannah mit ihm über ihre Schuldgefühle reden will. Sie befragt auch Hugh Bland, Ryan Coates und Emily Lippman, die ehemaligen Mitglieder der Clique. Deren Reaktionen sind unterschiedlich, zumal sie wie Will nach wie vor davon überzeugt sind, dass Neville der Mörder war.

Ruth Ware charakterisiert die einzelnen Figuren präzise. Besondere Aufmerksamkeit widmet sie dabei dem späteren Opfer April Clarke-Cliveden. Sie beschreibt sie als verführerisch und verrucht zugleich. Sie war witzig, großzügig und konnte einen total begeistern. Auf der anderen Seite konnte sie regelrecht gemein sein und machte auch nicht davor halt, anderen üble Scherze zu spielen.

Es gibt mehrere Verdächtige, die Gründe gehabt hätten, April etwas anzutun. Aber ob diese wirklich zu einem Mord reichten (?) – das bleibt zumindest zweifelhaft. Die Suche nach dem Täter oder der Täterin zieht sich hin und es erfolgt eine allmähliche Aufklärung des Verbrechens. Um es salopp auszudrücken: Jeder ist mal verdächtig.

Die Handlungen wechseln zwischen zwei Zeitebenen, die jeweils mit »DAVOR« und »DANACH« übertitelt werden. Das »DAVOR« beschreibt die gemeinsame Collegezeit und das »DANACH« zehn Jahre später. Nach dem Mord an April gibt es nur noch Kapitel »DANACH«. Vergangenheit und Gegenwart werden gegenübergestellt.

 

 Fazit:

Dies ist das erste Buch, das ich von der Autorin gelesen habe. Das Buch ist flüssig in einem leicht zu lesenden Stil geschrieben. Unausgesprochene Gedanken werden kursiv dargestellt. Ein Stilelement, das mir gefallen hat.
R. Ware schreibt immer dann sehr präzise, wenn es darum geht, Handlungen besser zu verstehen.
Die Kapitelüberschriften sind eindeutig zugeordnet. Cliffhanger bei Kapitelwechseln werden später wieder aufgegriffen und aufgelöst.
Klischees werden bedient, indem sie die einzelnen Figuren der Clique charakterisiert (die Reiche und Schöne, die eher Unscheinbare, die Ehrgeizige, der Erfolgreiche, der Besserwisser und der Loser). Das hat mir weniger gefallen, dass Personen in verschiedene »Schubladen« gesteckt werden.
Zwei- oder dreimal wird April als It-Girl bezeichnet. Obwohl dieses Buch in der englischen Originalausgabe mit dem Titel »The It Girl« erschienen ist, möchte ich darauf hinweisen, dass April dazu eine wichtige Eigenschaft gefehlt hat. Sie verfügte über keine Medienpräsenz.
Da ich in meinem Fazit Dinge erwähnt habe, die mir nicht gefallen habe, ziehe ich einen Stern ab.
Alles in allem hat mich das Buch trotzdem inspiriert, mehr von Ruth Ware zu lesen.