Sonntag, 31. Dezember 2023

Falk, Thilo – White Zero

Über den Autor

Den Namen Thilo Falk benutzt ein deutscher Journalist als Pseudonym für seine Publikationen. Er engagiert sich für den Umweltschutz und spendet einen Teil seines Einkommens an Umweltschutzorganisationen.
Er lebt mit seiner Familie in einer norddeutschen Großstadt.
(Stand: 2023)


White Zero - Die Kälte ist dein Tod

Ausgabe: Taschenbuch mit Klappentext (12/23; 448 S.)


2 / 5 ⭐️
 

Eine unvorstellbare Klimakatastrophe
 

Das ist der zweite Klimathriller des unter dem Pseudonym schreibenden Schriftstellers Thilo Falk. Nach seinem ersten Thriller »Dark Clouds«, in dem es um Überschwemmungen infolge von Starkregen und Sturmfluten geht, widmet er sich in diesem Werk einer Eiszeit, die Deutschland und ganz Mitteleuropa in Atem hält. In Zeiten des Klimawandels drängen immer mehr Bücher auf den Markt, die sich mit diesem Thema befassen.

Eine Eiszeit ist keine Erfindung des Autors. Das hat es schon gegeben. Allerdings geht hier die letzte kleine Eiszeit zurück auf Anfang des 15. bis ins 19. Jahrhundert hinein. Ursachen dafür waren die zunehmende Schwäche der Sonne. Die Sommer blieben kühl und feucht. Klimatologen fürchten, dass solche Verhältnisse wiederkehren könnten. Zum jetzigen Zeitpunkt undenkbar, wo die Sommer immer heißer werden und die Trocken- bzw. Dürreperioden zunehmen. Das hat aber nichts mit dem hier geschilderten Szenario zu tun.

Die Protagonisten dieses Thrillers sind die Geophysikerin Dr. Jana Hollmer, ihr Partner Clemens Bach und der holländische Reeder Titus van Dijk. Dieses Trio macht sich quasi auf den »Weg«, um die Welt zu retten. Ein gehörloser Beagle spielt ebenfalls eine Rolle. Der Hund gehört Jana Hollmer. Ich habe mir die Frage gestellt, was will der Autor damit aussagen? Sollen hier persönliche Empfindungen mehr in den Vordergrund gestellt werden? Bei jeder Unternehmung ist das Tier mit dabei, auch wenn sie noch so gefährlich ist. Das ist unrealistisch.

Die Einleitung beginnt mit der Überschrift »Fünf Jahre später«. Die kleine Emily drängt ihre Mutter Jana zu erzählen, wie diese und ihr Papa die Welt gerettet haben. Dass lässt schon einen gewissen Schluss zu, wie die Geschichte ausgehen könnte.
Die Erde über Deutschland und Mitteleuropa ist mit einer dicken Eisschicht überzogen. Die einzelnen Kapitel berichten aus verschiedenen Regionen bzw. deren Landeshauptstädten, wo die Temperaturen im zweistelligen Minusbereich liegen.

Ständig wechseln die Schauplätze der Handlung, immer wieder neue Figuren kommen hinzu – auch nach ca. 60 Seiten fehlt mir ein roter Faden. Die Figurenzeichnung ist unübersichtlich und macht es nicht einfach, den Überblick zu behalten.

Es wird ein interdisziplinärer Krisenstab gebildet, der neben Dr. Jana Hollmer aus Wissenschaftlern, Politikern und Industriellen besteht. Von diesem Krisenstab gehen wenig bis keine Impulse aus, schon gar keine Ansätze für eine Ursachenforschung.

Handlungen, die zunächst nicht mit dem Geschehen direkt in Verbindung zu bringen sind (Bsp. Das Leben von Eric und Anton mit ihrer Tochter Lulu oder die kranke Ulrike mit ihrer Tochter Amelie) ergeben plötzlich Sinn. Sie können den Krisenstab bzw. Jana Hollmer mit wichtigen Informationen unterstützen. Das hat der Autor geschickt gemacht.

Andererseits kommen Dinge zur Sprache, deren Aufklärungen der Autor dem Leser/der Leserin schuldig bleibt (z.B. wird Jana auf dem Heimweg von einem Unbekannten angegriffen, der ihr die Tasche mit wichtigen Dokumenten entwendet – sie vermutet einen Maulwurf im Krisenstab). Während der Autor ansonsten ausführlicher die Dinge beschreibt, bleibt es hier vage.

Dass das Buch von einem Journalisten geschrieben wurde, ist unverkennbar. Immer wieder eingefügte Zeitungsberichte, Nachrichtenmeldungen und Interviews lassen die Spannungswelle abnehmen. Das lähmt die Handlung. Von einem Thriller erwarte ich mir mehr Spannung und nicht nur vereinzelte Spannungsmomente.

Erst auf den letzten ca. 50 Seiten kommt es zu einem unheimlichen »Showdown« – das ist mir bei einem Buch von über 440 Seiten zu wenig. Und was man im Laufe des Romans erfährt – erst als Vermutung, dann als Gewissheit – wie es zu dieser Eiszeit kommen konnte, ist mir einfach zu fiktiv. Offensichtlich ist es nicht einfach, eine Brücke vom Klimawandel zur Realität zu schlagen. Die Fiktion sollte trotz allem nachvollziehbar sein.

Fazit:

Das Buch liest sich eher wie ein Sachbuch als ein Thriller. Man erfährt auch reale Dinge. Zum Beispiel kann der Eiffelturm an kalten Wintertagen bis zu 15 cm schrumpfen, was für das menschliche Auge natürlich nicht sichtbar ist. So etwas bewerte ich positiv in diesem Buch.
Trotzdem hat mich die Handlung nicht mitgenommen und ich bin mir nicht sicher, ob ich von diesem Autor ein weiteres Buch lesen möchte.
Für meinen Geschmack gibt es bessere Thriller, die sich mit dem Thema Klimawandel befassen (bspw. »42 Grad» von Wolf Harlander).
Letztlich stellen sich mir zwei Fragen: Kann man die Ursache für diese Eiszeit finden bzw. rückgängig machen und können die Menschen in der Zukunft wieder in ihre gewohnte Normalität zurückfinden?
Für dieses Buch kann ich leider nur 2 Sterne vergeben.

Donnerstag, 21. Dezember 2023

Fallada, Hans – Kleiner Mann - was nun?

Über den Autor

Hans Fallada wurde unter seinem richtigen Namen Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen 1893 in Greifswald als Sohn eines hochrangigen Justizbeamten geboren und starb 1947 in Berlin.
Er wird als mäßiger bis schlechter Schüler beschrieben, schüchtern bis ängstlich ohne nötiges Selbstvertrauen.
In seinem bewegten Leben gab es viele Nackenschläge. Angefangen bei einer Störung der Adoleszenz, einem versuchten Suizid, einer Morphium- und Alkoholsucht bis hin zu kriminellen Delikten und einer Gefängnisstrafe.
Er befasste sich in seinen Büchern hauptsächlich mit gesellschaftskritischen Themen. Anschauliche Milieustudien und eine überzeugende Charakterzeichnung machten seine Romane aus.
Er lebte während der Zeit des Faschismus zurückgezogen in Mecklenburg als unerwünschter, lediglich geduldeter Autor.


Kleiner Mann - was nun?

Ausgaben Originalfassung: Gebundenes Buch (06/16; 557 S.); Taschenbuch (08/17; 557 S.)


5 / 5 ⭐️

Eine junge Familie am Rande des Untergangs
 

Dieser Roman ist eine hervorragende Milieustudie, die überwiegend im Berlin der 30er-Jahre spielt. Wer sich für deutsche Zeitgeschichte interessiert, sollte sich diesen Roman nicht entgehen lassen. In lediglich vier Monaten hat Fallada dieses Buch geschrieben.

Die ganze Tragweite dieser Epoche kommt zum Ausdruck. Die Weltwirtschaftskrise steuert auf ihren Höhepunkt zu und die Weimarer Republik neigt sich dem Ende entgegen. Die Nationalsozialisten erstarken immer mehr und stehen kurz vor der Machtergreifung. Die Arbeitslosigkeit nimmt rasant zu. Die Diskrepanz zwischen Arm und Reich wird immer deutlicher. Vor diesem Hintergrund wird das Schicksal der kleinen Familie Pinneberg stellvertretend für eine ganze arme Bevölkerungsschicht in Deutschland erzählt.

Johannes Pinneberg (23 Jahre, gelernter Buchhalter) und Emma Mörschel (22 Jahre, ohne Beruf) leben beide in Ducherow, einem kleinen Dorf im heutigen Landkreis Vorpommern-Greifswald. Sie begegnen sich zufällig bei einem Spaziergang in den Dünen und schnell kommen sie sich näher. Emma wird schwanger und die beiden heiraten. Im weiteren Verlauf wird Emma Johannes nur »Junge« nennen und er sagt »Lämmchen« zu ihr. Sowohl während der Schwangerschaft als auch nach der Geburt wird der kleine Sohn »Murkel« genannt. Ein einziges Mal wird sein richtiger Name Horst erwähnt.

In Ducherow wohnen sie gemeinsam in einer Dachwohnung zur Untermiete. Pinneberg hat Arbeit bei einem Getreidehändler, die er aber aufgrund schwacher Auftragslage verliert. Sie ziehen in die Großstadt nach Berlin, wo sie zunächst in einem Zimmer bei Pinnebergs Mutter wohnen.

Er findet Arbeit als Verkäufer in der Konfektionsabteilung des jüdischen Kaufhauses Mandel. Dort läuft es zunächst gut für Pinneberg und sie finden eine Mansardenwohnung, die gerade ausreichend zum Wohnen ist.

Aber auch bei Mandel ändern sich die Zeiten. Die Verkaufslage stagniert und die Geschäftsleitung führt eine tägliche Verkaufsquote ein. Als Pinneberg bei einem Kunden übergriffig wird, da er ihm unbedingt etwas verkaufen will, um seine Quote zu erreichen, beschwert sich der Kunde und Pinneberg wird fristlos entlassen.

Sie ziehen in eine Gartenlaube eines ehemaligen Arbeitskollegen und Freund von Pinneberg. Dort leben sie fortan von Pinnebergs Arbeitslosengeld und kleinen Handarbeiten, die Lämmchen bei fremden Leuten verrichtet.

Es hat mich beeindruckt, wie Fallada die beiden Hauptpersonen aber auch andere Figuren in deren Umfeld charakterisiert hat. Pinneberg ist oft wütend und aufbrausend – er ist mental schwach und lebt in ständiger Angst, dass er arbeitslos wird und die kleine Familie nicht mehr genügend Geld zum Leben hat. Ganz anders Lämmchen, denn sie ist die Starke in dieser Ehe. Sie gibt ihrem Jungen immer wieder Halt, tröstet und beruhigt ihn. Auch in Zeiten ihrer Schwangerschaft, als sie mehr Unterstützung nötig gehabt hätte.

Im Gegensatz zu den meisten Büchern überschreibt Fallada die einzelnen Kapitel nicht mit einer Zahl oder einer Person, sondern er beschreibt in kurzen Stichworten, was den Leser als nächstes erwartet. Zudem hat Fallada eine Gliederung im Stil eines Theaterstücks seinen Kapiteln übergeordnet (Vorspiel – Die Sorglosen; Erster Teil – die kleine Stadt; Zweiter Teil – Berlin; Nachspiel – Alles geht weiter).

Vieles, was Fallada schrieb, war zeitkritisch. Er widmete sich in seinen Büchern gesellschaftskritischen Themen. Sein vierter Roman »Kleiner Mann – was nun?« wurde 1932 erstmals in einer gekürzten Fassung veröffentlicht und verschaffte ihm den Durchbruch als Schriftsteller. Das Buch wurde ein Welterfolg.

Aus heutiger Sicht handelte es sich bei den damaligen Streichungen im Originalmanuskript um das Lokalkolorit der auslaufenden zwanziger und beginnenden dreißiger Jahre. Vor dem Hintergrund politischer Ereignisse und der wirtschaftlichen Lage sollten mögliche Irritationen vermieden werden.

 

Fazit:

Der Titel des Buches könnte nicht besser gewählt sein, obwohl das Ursprungsmanuskript noch mit »Der Pumm« überschrieben war.
Sowohl die Schreibweise als auch der Schreibstil sind für heutige Verhältnisse gewöhnungsbedürftig, man muss sich darauf einlassen, um Spaß am Lesen dieser Lektüre zu haben. Es werden Begriffe verwendet, die man so heute nicht mehr benutzt oder nicht kennt (bspw. »Er hat gesohlt« anstelle von »Er hat gelogen«).
Orthografie und Interpunktion folgen bei dieser Neufassung der neuen deutschen Rechtschreibung.
Auch sogenannte Cliffhanger kommen vor, wobei es zu dieser Zeit diesen Begriff nicht gab (Bsp.: Pinnebergs Freund Heilbutt verschwindet plötzlich von der Bildfläche; einige Episoden später wird wieder von ihm die Rede sein, da er den Pinnebergs seine Laube vermietet).
Für mich eindeutig eine Fünf-Sterne-Bewertung.

Donnerstag, 14. Dezember 2023

Grangé, Jean-Christophe – Die marmornen Träume

Über den Autor

Jean-Christophe Grangé wurde 1961 in Paris geboren. Als freier Journalist war er für verschiedene Zeitungen tätig (u.a. Sunday Times, El Pais, Spiegel, Stern).
Schon mit seinem ersten Buch »Der Flug der Störche« (1996) gelang ihm der internationale Durchbruch als Schriftsteller. Er gilt als Meister des französischen Thrillers. Seit über 25 Jahren schreibt er immer wieder Thriller, die zu Bestsellern geworden sind und zum Teil auch verfilmt wurden (z.B. »Die purpurnen Flüsse«).
Mit dem historischen Berlin-Thriller »Die marmornen Träume« hat er eine ganz neue Richtung eingeschlagen.
Grangé ist verheiratet und hat drei Kinder.
(Stand: 2023)


Die marmornen Träume

Ausgaben: Gebundenes Buch (02/23; 688 S.); Taschenbuch (03/24; 688 S.)


5 / 5 ⭐️

Die Rache der Verlorenen
 

Wer schon mehr Bücher von diesem Autor gelesen hat, wird erstaunt sein, dass er sich hier einem anderen Thema zuwendet. Aber auch mit diesem historischen Thriller setzt er wieder auf außergewöhnliche Spannung, was ihm meines Erachtens auch sehr gut gelungen ist.

Er charakterisiert drei Hauptfiguren, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Diese Protagonisten, die zwischen 1932 und 1942 immer wieder auftauchen, mal gemeinsam und mal auf sich allein gestellt, sind Simon Kraus (Gigolo, Psychiater, kleinwüchsig, zynisch und verbittert); Franz Beewen (Soldat, Nazi durch und durch, SS-Hauptsturmführer bei der Gestapo); Minna von Hassel (Psychiaterin, alkoholsüchtig, leitet eine Anstalt für kranke und irre Seelen).

Und doch haben sie zwei große gemeinsame Ziele: Sie möchten zum einen möglichst unbeschadet die Kriegswirren überstehen. Zum zweiten möchten sie einen mit einer Maske (die eine marmorierte Struktur aufweist), getarnten Serienmörder auffinden und unschädlich machen. Dieser Mörder sucht sich Damen der feinen Gesellschaft als Opfer aus. Aber was hat das für einen Hintergrund?

Berlin befindet sich 1939 kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Aber niemand scheint sich im Nazi-Deutschland darüber bewusst zu sein oder verdrängt die Situation, mit Ausnahme der Gestapo und der SS. Im Hotel Adlon in Berlin treffen sich die feinen Damen der Nazi-Oberen.

Schnell macht sich Angst breit, nachdem in kurzen Abständen vier weibliche Opfer ermordet aufgefunden werden, die allesamt den sogenannten Adlondamen angehörten. Sie waren alle in Behandlung bei dem Psychoanalytiker Simon Kraus und alle vier waren schwanger. Kraus verführt zwar seine Klientinnen, aber sie sind nicht von ihm geschwängert worden. Vielmehr erpresst er sie mit Geldforderungen, um so ihr Schweigen zu erkaufen. Das macht ihn verdächtig, und er gerät ins Visier der Gestapo. SS-Hauptsturmführer Franz Beween leitet die Ermittlungen und überprüft die Alibis von Kraus. Schnell stockt die Suche nach einem Verdächtigen, zumal man Kraus nichts nachweisen kann.

Der Autor legt in seinen Erzählungen immer wieder falsche Fährten, um vom wahren Mörder abzulenken. Viele Personen werden verdächtigt, die Ermittlungen laufen jedoch zunächst ins Leere.

Es ist eine Fügung des Schicksals, dass sich die Wege von Franz Beween, Simon Kraus und Minna von Hassel kreuzen. Sie schließen sich zu einem Zweckbündnis zusammen. Sie verfolgen ein gemeinsames Ziel – sie wollen den mit einer Maske getarnten Mörder – den Marmormann –  überführen.

Der Plot endet im Jahr 1942 längst nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und der Eroberung von Polen, wo sich Beween als Soldat nahe der Front, Kraus als behandelnder Psychiater von traumatisierten Soldaten und Minna v. Hassel in einem Lazarett für verwundete Soldaten im Kaukasus wieder vereinen. Sie verfolgen eine heiße Spur. Werden sie den Mörder vielleicht hier aufspüren und zur Strecke bringen können?


Fazit:

Mit diesem Buch hat Grangé eine neue Richtung eingeschlagen.
Seine Erzählweise ist spektakulär, er beschreibt sehr detailliert die Gräueltaten der Nazizeit, wenn auch nicht alles authentisch ist. Eine hervorragende Charakterisierung der einzelnen Figuren ist dem Autor wichtig.
Der Schutzumschlag des Buches zeigt die Silhouette einer geschundenen Frauenleiche in blutroter Farbe. Die Grafik finde ich aussagekräftig und sehr gelungen.
Der Thriller ist gut durchdacht, ein steigender Spannungsbogen wird erzeugt und es liest sich flüssig. Fünf Sterne erscheinen mir daher gerechtfertigt.

Montag, 4. Dezember 2023

Faber, Henri – Kaltherz

Über den Autor

Henri Faber, Jahrgang 1986, geboren und aufgewachsen in Niederösterreich, Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaft, lebt als Autor und Texter in Hamburg. Nach seinem Bestseller »Ausweglos« ist dies sein zweiter Thriller.
(Klappentext © 2022 dtv Verlagsgesellschaft)


Kaltherz

Ausgabe: Paperback mit Klappentext (05/22; 416 S.)


4 / 5 ⭐️

Der Wolf im Schafspelz
 

Nach seinem Debütroman »Ausweglos« aus dem Jahr 2021 präsentierte der österreichische Schriftsteller mit »Kaltherz« 2022 seinen zweiten Thriller.

Die fünfjährige Marie Lipmann ist seit viereinhalb Monaten verschwunden. Clara, die Mutter von Marie, lässt ihre Tochter kurz allein im Auto. Als sie von der Toilette wiederkommt, ist Marie nicht mehr da. Ein Alptraum beginnt für die Eltern.

Die Eltern Clara (28 Jahre) und Jakob Lipmann (37 Jahre) kommen aus völlig unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Während Clara in verschiedenen Heimen aufgewachsen ist, wuchs Jakob in einem behüteten und gut betuchten Elternhaus auf. Clara ist depressiv und suizidgefährdet. Jakob klettert berufsmäßig auf der Karriereleiter ständig nach oben (da stellt sich mir die Frage: Unter welchen Umständen?) und lässt sich auch vom Verschwinden der kleinen Tochter und den Selbstmordgedanken seiner Frau nicht aus der Bahn werfen.

Längst ist der Charme der ehemaligen Liebesheirat verflogen. Lediglich Clara ist nach wie vor verliebt in ihren Mann. Jakob will nur eins – er will seine Tochter zurück, die er abgöttisch liebt.

Auf der anscheinend ausweglosen Suche wird Clara schlussendlich an ihren Selbstvorwürfen zerbrechen, da sie sich die alleinige Schuld am Verschwinden ihrer Tochter gibt. Obwohl Jakob die Öffentlichkeit heraushalten möchte, kann er nicht verhindern, dass die Polizei ermittelt. Zumal Marie nicht das einzige Kind ist, dass in München vermisst wird. Die Suche konzentriert sich zunächst auf das Kindermädchen. Sie ist ebenfalls spurlos verschwunden ist.

Die Kommissarin Kim Lansky übernimmt den Fall. Der bisherige leitende Ermittler Norbert Krüger in dem Vermisstenfall ist kürzlich verstorben. Es bietet sich daher an, jemand unbedarftes mit den Ermittlungen zu betrauen. In den Aufzeichnungen von Krüger wird Lansky später brauchbare Hinweise finden.

Lansky war bis vor kurzem vom Dienst suspendiert, da sie sich nicht an die Regeln des Polizeidienstes hält. Sie hat ihre eigenen Ermittlungsmethoden. Sie ist sehr impulsiv, reagiert emotional und hält sich nicht immer an das Gesetz. Das kommt bei den Vorgesetzten nicht gut an, und es sind Konfrontationen im Umgang mit möglichen Verdächtigen entstanden.

Sie hat schon in verschiedenen Dezernaten gearbeitet: Cybercrime, Glücksspiel, Urkundenfälschung. Kriminalhauptkommissar Theo Rizzi setzt sich für sie ein. Rizzi und Lansky kennen sich bereits aus Kindheitstagen. Er kann seine Vorgesetzten dazu bewegen, Lansky eine allerletzte Chance zu gewähren und sie als Ermittlerin im Vermisstendezernat einzusetzen. Als die Ermittlungen aus dem Ruder laufen, erinnert sich Lansky an Pater Helman, wohin sie sich schon als Kind in schwierigen Situationen gewendet hat.

Die Hauptfiguren Clara und Robert Lipmann, deren Tochter Marie und die Kommissarin Lansky erzählen jeweils in sich abgeschlossenen Kapiteln in der Ich-Form. Deren jeweiliger Name wird der Beschriftung der Kapitel vorangesetzt. Das macht die Handlungsabläufe überschaubar – sehr gut!

Gefühlte 260 Seiten präsentiert der Autor einen solide geschriebenen Thriller, in dem es allem Anschein nach um einen Entführungsfall geht. Die Ermittlungen stocken und die Polizei stochert in den wenigen Hinweisen ohne klaren Ansatz. Danach wird endlich ein hoher Spannungsbogen aufgebaut. Ein Twist reiht sich an den nächsten, und man ist gar nicht mehr gewillt, das Buch aus den Händen zu legen. Der Autor legt immer wieder neue Fährten. Zum Ende hin stellt sich alles anders dar als vorab vermutet, und es folgt ein ebenso überraschendes wie furioses Ende.

 

Fazit:

Eine starke Charakterzeichnung der Figuren ist ein Pluspunkt für den Autor. Mit dem Setting hatte ich zu Beginn des Plots Probleme.
In den ersten 40-50 Seiten musste ich mich überwinden, um weiterzulesen. Der Funke wollte einfach nicht überspringen, und ich konnte auch keine klare Linie erkennen.
Danach setzte eine Wende ein. Endlich bekam ich ein Gespür dafür, um was es hier wirklich ging.
Es entwickelte sich ein Thriller, erst mit mittlerem Spannungspotential, um dann förmlich zu »explodieren«. Der Schreibstil nimmt in gleichem Maße zu wie die Handlung, zuweilen mit lustigen Vergleichen (Bsp.: »So hänge ich an der Decke, kopfüber wie Spiderman, mit dem Unterschied, dass dessen Lunge nicht rasselt wie die Percussion-Sektion einer Rumba-Band«). Solche Vergleiche finde ich immer amüsant.
Unzählige Überraschungen erwarten den Leser/die Leserin.
Da sich der Plot geraume Zeit für mich nicht als Pageturner erwiesen hat, gebe ich vier Sterne.