Montag, 4. Dezember 2023

Faber, Henri – Kaltherz

Über den Autor

Henri Faber, Jahrgang 1986, geboren und aufgewachsen in Niederösterreich, Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaft, lebt als Autor und Texter in Hamburg. Nach seinem Bestseller »Ausweglos« ist dies sein zweiter Thriller.
(Klappentext © 2022 dtv Verlagsgesellschaft)


Kaltherz

Ausgabe: Paperback mit Klappentext (05/22; 416 S.)


4 / 5 ⭐️

Der Wolf im Schafspelz
 

Nach seinem Debütroman »Ausweglos« aus dem Jahr 2021 präsentierte der österreichische Schriftsteller mit »Kaltherz« 2022 seinen zweiten Thriller.

Die fünfjährige Marie Lipmann ist seit viereinhalb Monaten verschwunden. Clara, die Mutter von Marie, lässt ihre Tochter kurz allein im Auto. Als sie von der Toilette wiederkommt, ist Marie nicht mehr da. Ein Alptraum beginnt für die Eltern.

Die Eltern Clara (28 Jahre) und Jakob Lipmann (37 Jahre) kommen aus völlig unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Während Clara in verschiedenen Heimen aufgewachsen ist, wuchs Jakob in einem behüteten und gut betuchten Elternhaus auf. Clara ist depressiv und suizidgefährdet. Jakob klettert berufsmäßig auf der Karriereleiter ständig nach oben (da stellt sich mir die Frage: Unter welchen Umständen?) und lässt sich auch vom Verschwinden der kleinen Tochter und den Selbstmordgedanken seiner Frau nicht aus der Bahn werfen.

Längst ist der Charme der ehemaligen Liebesheirat verflogen. Lediglich Clara ist nach wie vor verliebt in ihren Mann. Jakob will nur eins – er will seine Tochter zurück, die er abgöttisch liebt.

Auf der anscheinend ausweglosen Suche wird Clara schlussendlich an ihren Selbstvorwürfen zerbrechen, da sie sich die alleinige Schuld am Verschwinden ihrer Tochter gibt. Obwohl Jakob die Öffentlichkeit heraushalten möchte, kann er nicht verhindern, dass die Polizei ermittelt. Zumal Marie nicht das einzige Kind ist, dass in München vermisst wird. Die Suche konzentriert sich zunächst auf das Kindermädchen. Sie ist ebenfalls spurlos verschwunden ist.

Die Kommissarin Kim Lansky übernimmt den Fall. Der bisherige leitende Ermittler Norbert Krüger in dem Vermisstenfall ist kürzlich verstorben. Es bietet sich daher an, jemand unbedarftes mit den Ermittlungen zu betrauen. In den Aufzeichnungen von Krüger wird Lansky später brauchbare Hinweise finden.

Lansky war bis vor kurzem vom Dienst suspendiert, da sie sich nicht an die Regeln des Polizeidienstes hält. Sie hat ihre eigenen Ermittlungsmethoden. Sie ist sehr impulsiv, reagiert emotional und hält sich nicht immer an das Gesetz. Das kommt bei den Vorgesetzten nicht gut an, und es sind Konfrontationen im Umgang mit möglichen Verdächtigen entstanden.

Sie hat schon in verschiedenen Dezernaten gearbeitet: Cybercrime, Glücksspiel, Urkundenfälschung. Kriminalhauptkommissar Theo Rizzi setzt sich für sie ein. Rizzi und Lansky kennen sich bereits aus Kindheitstagen. Er kann seine Vorgesetzten dazu bewegen, Lansky eine allerletzte Chance zu gewähren und sie als Ermittlerin im Vermisstendezernat einzusetzen. Als die Ermittlungen aus dem Ruder laufen, erinnert sich Lansky an Pater Helman, wohin sie sich schon als Kind in schwierigen Situationen gewendet hat.

Die Hauptfiguren Clara und Robert Lipmann, deren Tochter Marie und die Kommissarin Lansky erzählen jeweils in sich abgeschlossenen Kapiteln in der Ich-Form. Deren jeweiliger Name wird der Beschriftung der Kapitel vorangesetzt. Das macht die Handlungsabläufe überschaubar – sehr gut!

Gefühlte 260 Seiten präsentiert der Autor einen solide geschriebenen Thriller, in dem es allem Anschein nach um einen Entführungsfall geht. Die Ermittlungen stocken und die Polizei stochert in den wenigen Hinweisen ohne klaren Ansatz. Danach wird endlich ein hoher Spannungsbogen aufgebaut. Ein Twist reiht sich an den nächsten, und man ist gar nicht mehr gewillt, das Buch aus den Händen zu legen. Der Autor legt immer wieder neue Fährten. Zum Ende hin stellt sich alles anders dar als vorab vermutet, und es folgt ein ebenso überraschendes wie furioses Ende.

 

Fazit:

Eine starke Charakterzeichnung der Figuren ist ein Pluspunkt für den Autor. Mit dem Setting hatte ich zu Beginn des Plots Probleme.
In den ersten 40-50 Seiten musste ich mich überwinden, um weiterzulesen. Der Funke wollte einfach nicht überspringen, und ich konnte auch keine klare Linie erkennen.
Danach setzte eine Wende ein. Endlich bekam ich ein Gespür dafür, um was es hier wirklich ging.
Es entwickelte sich ein Thriller, erst mit mittlerem Spannungspotential, um dann förmlich zu »explodieren«. Der Schreibstil nimmt in gleichem Maße zu wie die Handlung, zuweilen mit lustigen Vergleichen (Bsp.: »So hänge ich an der Decke, kopfüber wie Spiderman, mit dem Unterschied, dass dessen Lunge nicht rasselt wie die Percussion-Sektion einer Rumba-Band«). Solche Vergleiche finde ich immer amüsant.
Unzählige Überraschungen erwarten den Leser/die Leserin.
Da sich der Plot geraume Zeit für mich nicht als Pageturner erwiesen hat, gebe ich vier Sterne.

2 Kommentare:

Tobias Kallfell hat gesagt…

Schön, wie du die empfundene Spannungskurve beschreibst. Ich kann mich jedenfalls erinnern, dass es gegen Ende fantastisch war, sehr treffend dein Begriff "explosionsartig".VG

Volker Kaiser hat gesagt…

Vielen Dank für deinen Kommentar, Tobias. Es ist mir schon klar, dass nicht jedes Buch von Anfang bis Ende auf einem gleich hohen Level erzählt werden kann. Du hattest in deiner Rezension fünf Sterne vergeben, bei mir waren es eben nur vier. Ich bin auf das neue Werk von Faber gespannt. VG

Kommentar veröffentlichen