Mittwoch, 5. Februar 2025

Wahl, Caroline – Windstärke 17

Über die Autorin

Caroline Wahl wurde 1995 in Mainz geboren und wuchs in der Nähe von Heidelberg auf. Sie hat Germanistik in Tübingen und Deutsche Literatur in Berlin studiert. Danach arbeitete sie in mehreren Verlagen. 2023 erschien ihr Debütroman »22 Bahnen« bei DuMont, für den sie mit dem Ulla-Hahn-Autorenpreis, dem Grimmelshausen-Förderpreis und dem Buchpreis Familienroman der Stiftung Ravensburger Verlag ausgezeichnet wurde. Außerdem wurde »22 Bahnen« Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels 2023. Caroline Wahl lebt in Rostock.
(Einbandtext © 2024 DuMont Buchverlag, Köln)


Windstärke 17


Kategorie: Familienroman – Deutschland, Rügen
Erstausgabe: Gebundenes Buch mit Schutzumschlag (05/24; 256 S.)
Themen u.a.: Wut, Traumabewältigung, Perspektivlosigkeit, Sehnsucht
Meine Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️


Die Sehnsucht nach Geborgenheit

Das Leben von Tilda und Ida hat sich weiterentwickelt. Es sind einige Jahre vergangen. Wie schon in Caroline Wahls erstem Buch gibt es Parallelen. Zum einen spielt Wasser wieder eine große Rolle. Während es bei »22 Bahnen« das Schwimmbad war, ist es jetzt bei Ida die Ostsee. Zum anderen spielen männliche Bezugspersonen eine große Rolle. Bei Tilda ist es Viktor, den wir schon bei »22 Bahnen« kennengelernt haben und bei Ida ist es Leif.


Idas ältere Halbschwester Tilda hat ihre Mathematik-Professur erfolgreich abgeschlossen und Viktor geheiratet. Zusammen sind sie mit den Zwillingen Niko und Vana nach Hamburg gezogen. Sie bietet Ida an, zu ihnen zu ziehen.

Ida will aber ihre alkoholkranke Mutter nicht allein zurücklassen. Sie ist ein in sich gekehrter junger Teenager, als die Mutter stirbt. Sie schafft es noch nicht einmal, zur Beerdigung zu gehen. Kurzentschlossen packt sie ihren Koffer, schreibt eine Kündigung für die gemeinsame Wohnung und wirft diese dem Vermieter in den Briefkasten. So einfach verläuft eine Kündigung natürlich nicht – aber hier hat die Autorin einen schnellen Cut gewählt.

Ida ist orientierungslos und wehmütig, denkt zurück an ihre Halbschwester und an ihre damalige Freundin Samara. Manchmal will sie zu Tilda, dann wieder nicht. Sie setzt sich in den Zug, fährt Richtung Norden und landet schließlich auf Rügen. Dort findet sie eine Bleibe in einem Hostel. Nachts liegt sie oft wach im Bett und denkt daran, wie sie ihre tote Mutter gefunden hat.

Sie findet eine Anstellung in der örtlichen Kneipe »Zur Robbe«. Der Kneipenbesitzer Knut ist sehr zufrieden mit ihr. Als Ida krank wird, nimmt er sie kurzerhand mit zu sich nach Hause, wo sie Knuts Frau Marianne kennenlernt. Marianne kümmert sich rührend um Ida und gibt ihr das Gefühl von einem behüteten Zuhause, was sie bisher nie hatte. Die Beiden bieten ihr sogar eine dauerhafte Bleibe an. Alles scheint sich zum Guten zu wenden, bis Marianne eine schlimme Diagnose bekommt.

Parallel dazu lernt Ida Leif kennen, der ihr Halt gibt. Leif hat eine ähnlich »verbrannte« Seele wie Ida. Er ist bei seinen Großeltern aufgewachsen. Vor einem Jahr ist seine Großmutter gestorben und er kümmert sich um den demenzkranken Großvater.

Immer, wenn Ida nicht mehr weiterweiß und sich zu viel Frust angestaut hat, springt sie in die Ostsee. Dabei sind ihr die Wetterverhältnisse egal. Danach geht es ihr vorübergehend besser. Diesen Gemütszustand hat Caroline Wahl sehr deutlich beschrieben.

Nimmt die Geschichte ein gutes Ende, das man sich für Ida wünscht? Oder bleibt das Ende offen? Laut Caroline Wahl soll es jedenfalls keine Fortsetzung mehr geben.


Fazit

Wer dieses Buch lesen möchte, dem empfehle ich, sich zuerst mit Wahls Debütroman »22 Bahnen« zu befassen. Danach kann man sich besser in die jetzige Situation hineinversetzen.
Caroline Wahl schreibt wieder in einem flippigen, modernen Stil (z.B. »Ich baue mir einen«, soll heißen »Ich drehe mir einen Joint«). Vereinzelt fallen auch Kraftausdrücke.
Vieles am Schreibstil und dem Aufbau der Handlung hat mich an »22 Bahnen« erinnert. Lässt Wahl Tilda und Ida zu Wort kommen, lässt sie die Small-Talks mit »Tilda:« bzw. »Ida:« beginnen. Aber oft monologisiert Ida einfach über ihr Dasein.
Aus dieser Sicht betrachtet war es lediglich eine Fortschreibung der bisherigen Story.
Die Dramaturgie des Plots konnte mich nicht vollends überzeugen. Während Tilda nun einige Jahre später ihre Professur erfolgreich abgeschlossen hat und mit Viktor nach Hamburg gezogen ist, lässt sie ihre minderjährige Halbschwester Ida allein bei der alkoholkranken Mutter zurück. Ida möchte die Mutter nicht allein lassen. War es Tilda nicht bewusst, dass sie ihre Halbschwester mit der Situation überfordert?
Caroline Wahl hat die Stimmung im Allgemeinen und die Gefühlslage von Ida im Besonderen gut eingefangen. Die Seitenzahl ist überschaubar und man hat das Buch schnell gelesen. Dieser Familienroman hat mich trotz kleiner Schwächen bewegt. Deshalb ziehe ich von fünf Sternen lediglich einen ab.

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