Über die Autorin
Judith Merchant wurde 1976 in Bonn geboren und wuchs in St. Augustin bei Bonn auf. Sie studierte Germanistik und Literaturwissenschaft. Heute unterrichtet sie als Dozentin in Creative Writing und lebt in Bonn. Für Ihre Kurzgeschichten wurde sie bereits zweimal mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. 2011 erschien ihr Romandebüt »Nibelungenmord«. Sie ist Mitglied des »Syndikats«, einer Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren.
(Stand: 2023)
Schweig!
Ausgabe: Paperback mit Klappentext (10/23; 346 S.)
Judith Merchant ist eine ausgezeichnete Erzählerin, die großen Wert auf einen psychologischen Tiefgang legt.
Der Inhalt des Buches würde eine hervorragende Grundlage für ein Kammerspiel geben. Wenige Figuren machen den Inhalt überschaubar. Der Schwerpunkt liegt auf den psychologisch ausgerichteten Gesprächen zwischen den Figuren.
Esther und deren jüngere Schwester Sue könnten nicht unterschiedlicher sein und haben sich schon als Kinder nicht gut verstanden. In Rückblenden gewährt die Autorin Einblicke in die Kindheit der beiden Schwestern.
Aus Esthers Sicht hat sich eine gewisse Hassliebe gegenüber ihrer Schwester entwickelt. Sue möchte einfach von ihrer Schwester in Ruhe gelassen werden und am besten nichts von ihr hören und sehen.
Esther ist verheiratet und hat sowohl einen Sohn als auch eine Tochter. Sie lebt mit ihrer Familie in der Stadt. Sue hat sich von ihrem Mann Robert getrennt, ist kinderlos und lebt einsam im Wald in einem viel zu großen Haus. Von Robert wird man im weiteren Verlauf nichts mehr lesen, geschweige denn hören. Er ist nicht Gegenstand der Handlung.
Esther und Sue erzählen in der Ich-Form, später im Buch wird auch Esthers Mann Martin die Geschehnisse aus seiner Sicht erzählen. Ein sehr interessanter Schreibaspekt und was mir besonders gut gefallen hat: Die Autorin schreibt einzelne Begebenheiten und Handlungen jeweils aus der Sicht der beiden Schwestern – die Schilderungen laufen dabei völlig auseinander.
Esther ist sehr dominant, selbstsüchtig und hat narzisstische Züge. Sie will ihre jüngere Schwester Sue beherrschen, weil sie denkt, dass Sue sonst untergehen wird. Später wird man erfahren, dass Esther ihren Mann Martin demütigt und auch oft drangsaliert (Bsp.: weil Martin nachts schnarcht, näht sie ihm Tennisbälle in das Rückenteil des Schlafanzuges, damit er im Bett nicht mehr auf dem Rücken liegen kann – und den Schlafanzug darf er auch nicht wechseln). Keiner beherrscht diese Klaviatur besser als Esther. Martin wehrt sich nicht dagegen und ertränkt seinen Kummer lieber im Alkohol.
Einen Tag vor Heiligabend macht Esther sich auf den Weg zu Ihrer Schwester. Sie möchte ihr wie jedes Jahr ein Weihnachtsgeschenk und eine Flasche Wein bringen. Aber sie möchte ihre Schwester auch überreden, mitzukommen in die Stadt in ihre Wohnung, um gemeinsam Weihnachten zu feiern.
Und dies, obwohl die drei an das vergangene Weihnachtsfest keine guten Erinnerungen haben. Martin ist von der Idee nicht angetan und auch Sue möchte partout verhindern, gemeinsam mit Esthers Familie Weihnachten zu feiern. Eigentlich müsste auch Esther schlechte Erinnerungen an das gemeinsame Weihnachtsfest im vergangenen Jahr haben, an dem Sue psychisch so instabil war, dass man sogar einen Notarzt rufen musste. Aus den ganzen Schilderungen heraus wird man den Verdacht nicht los, dass da noch etwas anderes war.
Das nahende Ende des Buches ist hervorragend konstruiert. Wieder wird alles nach dem Willen von Esther ablaufen und ein Ereignis sorgt dafür, dass Sue auf das Wohlwollen ihrer Schwester angewiesen sein wird.
Fazit:
Das Buch ist übersichtlich in nicht zu lange Kapitel aufgeteilt. Die Kapitelüberschriften nehmen Bezug auf die jeweils betreffende Person. Der Schreibstil ist angenehm und flüssig zu lesen.
Da sich das Setting auf lediglich drei Personen bezieht (Esther, Sue und Martin) und sich die Handlung entweder zuhause bei Esther und deren Familie oder im Haus von Sue abspielt, ist das Buch sehr übersichtlich. Man könnte es ohne weiteres in einem durchlesen. Ich habe mich jedenfalls gut unterhalten gefühlt und gebe fünf Sterne.