Montag, 28. Juli 2025

Faber, Henri – Locked in

Über den Autor

Henri Faber, Jahrgang 1986, aufgewachsen in Niederösterreich, studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaft und lebt als Autor und Texter in Hamburg. Nach seinen Bestsellern »Ausweglos«, »Kaltherz« und »Gestehe« ist dies sein vierter Thriller. In einer Ankündigung von Faber selbst ist zu lesen, dass »Locked in« höchstwahrscheinlich das letzte Buch ist, was von ihm erschienen ist.
(Klappentext © dtv Verlagsgesellschaft München, 2025)


Locked in


Kategorie: Thriller – Heidelberg
Erstausgabe: Paperback (05/25; 416 S.)
Schlagworte: Neurologie, Hirnforschung, Locked-in-Syndrom, Neuro Hub
Meine Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️/5


Realitätsbezogen

Auf einer der ersten Seiten steht der Satz: »Nach einer wahren Begebenheit«. Und in der Tat ist »Locked in« nichts, das sich der Autor ausgedacht hat. Als Grundlage für seinen Thriller hat er sich das Forschen und Wirken des österreichischen Psychologen und Neurowissenschaftlers Niels-Peter Birbaumer zu eigen gemacht. Ein Schwerpunkt dessen Arbeit bildet die Forschung an Gehirn-Computer-Schnittstellen, die es ermöglichen sollen, ohne Nutzung der Gliedmaßen Informationen zwischen dem Gehirn und Maschinen auszutauschen (Quellenauszug: Wikipedia).


Darum geht es

Die Polizei in Heidelberg sucht nach drei Entführungsopfern: Ein Manager eines Zementkonzerns, eine Gymnasiallehrerin und ein Hauswart in einem Pflegeheim. Die Opfer haben keine Gemeinsamkeiten, kennen sich nicht und stammen aus unterschiedlichen Milieus. Alle drei verbindet nichts außer dem Umstand, dass man in deren Wohnungen Aerosolpartikel nachweisen konnte. Das lässt lediglich darauf schließen, wie der Täter seine Opfer gefügig gemacht hat.


Ein Ermittler mit Ecken und Kanten

Kriminalhauptkommissar Paul Maertens und seine neue Kollegin Kriminalkommissarin Stefanie Krüger werden mit den Ermittlungen beauftragt. Maertens ist nicht glücklich darüber, dass ihm die neue Kollegin - frisch von der Polizeischule gekommen – zugeteilt wird. Sie wird im weiteren Verlauf eine eher untergeordnete Rolle spielen.

Maertens musste als junger Polizist mit ansehen, wie sein Vater im Blutrausch die ganze Familie ausgelöscht hat. Die beiden jüngeren Geschwister und seine Mutter starben, bevor er selbst seinen Vater durch einen gezielten Schuss niedergestreckt hat. Dieses Erlebnis prägt sein weiteres Leben und sorgt dafür, dass man ihn im Beruf argwöhnisch betrachtet. Sein Vorgesetzter Brachmann hat ein gespaltenes Verhältnis zu Maertens. Warum überträgt er ihm dann die Leitung einer eingerichteten SOKO überhaupt, um sie ihm später wieder zu entziehen?


Eine Aktion mit fatalen Folgen

Zwei der entführten Opfer sind bereits tot, als Maertens in einer ehemaligen Fabrikhalle auf den Entführer stößt und ihm unbeabsichtigt in den Kopf schießt. Der erleidet ein Schädel-Hirn-Trauma und fällt anschließend in ein Wachkoma. Das hat eine vollständige Lähmung zur Folge und fortan ist er ein Gefangener in seinem eigenen Körper. Er hat das Locked-in-Syndrom. Zwar ist er bei Bewusstsein, jedoch körperlich fast vollständig gelähmt und unfähig, sich sprachlich oder durch Bewegungen verständlich zu machen. Die einzige Möglichkeit zur Kommunikation ergibt sich durch die erhaltene vertikale Augenbeweglichkeit.


Der Neuro Hub

Das macht es fast unmöglich, den Ort des wahrscheinlich noch lebenden dritten Entführungsopfers zu erfahren. Helfen könnte ein Neurologe, um dem Entführer die Informationen über den Aufenthaltsort des Opfers zu entlocken. Professor Dr. Theo Linde ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Hirnforschung. Er hat zusammen mit seinem Kollegen Amend ein Gerät entwickelt, das die Gedankenströme eines Menschen »lesen« kann: ein Neuroresonanz-Niedrigfrequenztomograf, kurz Neuro Hub. An diesen Strohhalm klammert sich Maertens, um den Aufenthaltsort der vermissten Person herauszufinden. Aber Linde verfolgt ganz eigene Ziele mit seiner Bereitschaft, der Polizei zu helfen.


Drei verschiedene Charaktere

Drei Hauptfiguren werden in diesem Thriller von einem Ermittler, einem Mediziner und einem Entführungsopfer verkörpert. Diese drei Personen sind gut ausgearbeitete Charaktere und erzählen jeweils in Ich-Form in sich abwechselnden Kapiteln, die analog mit »Maertens«, »Linde« und »Im Verlies« überschrieben sind.

Maertens und Prof. Dr. Theo Linde sind keine einfachen Charaktere. Auf diese beiden Figuren hat sich der Autor fokussiert und deren Psyche mit Tiefgang gezeichnet, so dass man sich ein Bild von deren Denken und Handeln machen kann. 
Auch das Verhalten des Entführten, der unablässig nach einer Möglichkeit sucht, um sich aus seinem 
»Gefängnis« zu befreien, wird sehr ausführlich beschrieben. Die Nebenfiguren bleiben eher blass.


Ein innovativer Plot

Nach zwei Dritteln zieht die Spannung spürbar an. Viele Plot-Twists sorgen für Verwirrung und nichts ist wie es scheint. Kaum denkt man, auf der richtigen Spur zu sein, nimmt die Handlung eine andere Richtung an.

Der Autor hat sich einen innovativen Plot ausgedacht, den es so noch nicht gab. Der Thriller ist tiefgründig und hebt sich literarisch von vielen anderen Büchern ab. Er ist anspruchsvoll geschrieben und will seine Leser nicht nur unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anregen.


Fazit

Faber pflegt einen ihm eigenen Schreibstil mit einem hohen Wiedererkennungswert. Wenn auch so manches abstrus wirkt, versteht es der Autor, dem Leser dafür eine mögliche Erklärung zu geben.
Es empfiehlt sich, diesen Thriller mit möglichst wenigen Unterbrechungen zu lesen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass man durch die vielen Wendungen und Plot-Twists den Faden verliert. Da es fast zwei Drittel gebraucht hat, bis ein spannender und fesselnder Plot entsteht, konnte ich den Thriller nicht auf den höchsten Level heben.
Nachdenklich stimmt mich die Ankündigung von Faber, dass »Locked in« höchstwahrscheinlich sein letztes Buch ist. Mit Sicherheit ist der Markt eng und der Druck hoch. Immer mehr Autoren und Autorinnen veröffentlichen Bücher – manchmal nur eines und dann verschwinden sie wieder von der Bildfläche. Ich bin der Meinung, dass ein Schriftsteller vom Format eines Henri Faber nicht der literarischen Welt verloren gehen darf.

Dienstag, 15. Juli 2025

Hincenbergs, Sue – Very Bad Widows

Über die Autorin

Sue Hincenbergs ist eine Fernsehproduzentin, die die anstrengenden Stunden des Morgenfernsehens zugunsten von Musik- und Varietésendungen hinter sich gelassen hat. Die Autorin und Mutter dreier erwachsener Söhne lebt mit ihrem Mann und ihrem Hund Kramer in Toronto. »Very bad Widows« ist ihr Romandebüt.
(Klappentext © Piper Verlag München, 2025)


Very Bad Widows


Kategorie: Roman – USA, Kanada
Erstausgabe: Paperback mit Klappentext (05/25; 496 S.)
Schlagworte: Ehe, Freundschaft, Midlife Crisis, Lebensversicherung
Meine Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️/5



Erinnerungen an die »Golden Girls« leben auf

Sue Hincenbergs präsentiert in ihrem Debütroman eine hintergründige Kriminalkomödie, die mit schwarzem Humor angereichert daherkommt. Die Erzählung ist hinterhältig, mörderisch und bitterböse zugleich, aber auch köstlich mit Kommentaren und Vergleichen der Autorin angereichert. Das spricht für ihren Fantasiereichtum. In einigen Episoden erinnert der Roman an die US-Sitcom-Serie »Golden Girls« aus den 80er und 90er Jahren.

Zu Beginn fällt es etwas schwer, in die Geschichte hineinzukommen, da man mit vielen Personen konfrontiert wird. Das geschieht aber relativ schnell und ab da liest sich der Roman leicht und flüssig. 


Einst allerbeste Freunde

Vier Ehepaare sind seit Jahren befreundet. Obwohl alle bereits über sechzig sind, ist ihr Verhalten wie das einer Midlife-Crisis. Von Liebe kann keine Rede mehr sein, man hat sich auseinandergelebt und sich nicht mehr viel zu sagen. Dann geschieht ein Unglück, das alles in eine andere Richtung lenkt. Dave, der Mann von Marlene, wird tot in seiner Garageneinfahrt gefunden.


Die Dinge nehmen ihren Lauf

Ab da geschehen Dinge, die man so nicht für möglich gehalten hat. Kaum hat man sich auf eine Situation eingestellt, ändert sich wieder alles.

Marlene trauert nicht lange um ihren Mann, denn auf sie wartet eine Lebensversicherung über eine Million Dollar. Damit will sie einen Neuanfang in Boca Raton starten. Da Hank, Larry und Andre vor vier Jahren ihre Altersrücklage durch ein windiges Investment verzockt haben, bringt das ihre Ehefrauen Nancy, Pam und Shalisa auf eine Idee.


Wie wird man einen ungeliebten Ehemann los

Wohlwissend, dass alle drei Ehemänner ebenfalls hohe Lebensversicherungen abgeschlossen haben, möchten sie wie ihre Freundin Marlene in ein neues, sorgenfreies Leben inmitten der High Society von Florida starten. Nur, wie kommen sie an die Lebensversicherungen heran? Da gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit.


Vier Abschnitte mit vielen Wendungen

Der Plot hat jede Menge Irrungen und Wirrungen. Die Geschichte ist in vier Abschnitte aufgeteilt, aus denen wechselseitig erzählt wird. Da sind zum einen die Frauen, deren Gedanken so schwankend sind wie die Palme während eines Tsunamis. Anderseits erfahren wir mehr über deren Ehemänner. Hank und Dave haben als Casinoangestellte die Spielautomaten manipuliert und über einen Zeitraum von vier Jahren fast 10 Mill. Dollar abgezweigt und unter sich aufgeteilt. Nach dem Tod ihres Freundes Dave fürchten die drei um das eigene Leben und wollen sich aus dem Staub machen.

Nicht ganz so prominent, aber nicht weniger interessant ist die neue Betreiberin des Casinos Padma Singh, wofür Hank und Dave gearbeitet haben. Ihr werden Verbindungen zum organisierten Verbrechen in Indien nachgesagt.

Dann wäre da noch der Herrenfriseur Hector Chavez, bei dem einer der Ehemänner Kunde ist oder war. Hector ist undurchschaubar und man weiß nicht, wie man ihn einordnen soll. Gehört er eher zu den »Guten« oder zu den »Bösen«? Im weiteren Verlauf wird er immer mehr zu einer zentralen Figur.


Eine Reihe von skurrilen Personen

Sämtliche Figuren weisen eine gewisse Skurrilität auf und sind sehr gut gezeichnet. Die Sympathie wechselt zwischen den drei Freundinnen und deren Ehemännern, je nachdem, was man gerade über sie erfährt. Auch die Figur des Hector kann man mögen. Unsympathisch kommt die Casinochefin Padma daher, deren Mutter für ein indisches Verbrechersyndikat verantwortlich zeichnet. Spielautomatenbetrug, ein Killer auf Bestellung und ein Hund namens Elmer geben dem Roman weitere Würze.


Ein Ende, dass so nicht vorhersehbar war

Zum Ende hin ist Hincenbergs sichtlich bemüht, einen Ausgleich zu schaffen, um das bisher Geschehene zu einem positiven Abschluss zu bringen. Sie möchte die einzelnen Figuren in einem besseren Licht erscheinen lassen, was ihr auch gelingt.


Fazit

Man kommt nicht umhin darüber nachzudenken, ob die vermeintlichen Witwen wirklich die einzigen Bösen sind, wie es uns der Buchtitel verrät. Was haben die Casinobetreiberin Padma und der Herrenfriseur Hector zu verbergen?
Die Erzählung springt zwischen den vier Abschnitten hin und her. Da das ohne harte Schnitte geschieht, kann man der Handlung mühelos folgen.
Dieses Buch ist ein Mix aus Kriminalroman und Komödie, teils köstlich und warmherzig, aber auch böse und hinterhältig. Die humorvollen Passagen wirken nicht albern. Alles in allem ist »Very Bad Widows« sehr unterhaltsam und definitiv eine Empfehlung wert.

Donnerstag, 3. Juli 2025

Wilson, Alexandra – Die feindliche Zeugin

Über die Autorin

Alexandra Wilson ist Barrister in England und Wales sowie Anwältin im Staat New York. Sie wuchs an der Grenze zwischen East London und Essex auf und ist das älteste von vier Kindern.
Ihre Mutter ist weiße Britin, ihr Vater ist schwarzer Brite, und ihre Großeltern väterlicherseits wurden in Jamaika geboren. Im Jahr 2020 veröffentlichte sie ihr Bestseller-Memoir »In Black and White: A Young Barrister’s Story of Race and Class in a Broken Justice System«. Seit ihrer Zulassung als Rechtsanwältin im Jahr 2020 setzt sie sich vehement für mehr Vielfalt in der Anwaltschaft ein. Sie hat zahlreiche Preise gewonnen und internationale Anerkennung für ihre Arbeit erhalten.
(Klappentext © Suhrkamp Verlag Berlin, 2025)


Die feindliche Zeugin


Kategorie: Justizthriller – London, Walthamstow
Erstausgabe: Paperback mit Klappentext (06/25; 358 S.)
Schlagworte: Rassismus, Ethnologie, Diskriminierung, Todesangst
Meine Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️/5


Ein Debüt mit Potential nach oben

Alexandra Wilson ist von Beruf eine junge Prozessanwältin. In ihrem Debütroman erläutert sie einige Details zum Rechtswesen im Vereinigten Königreich. In dem hier erzählten Fall ist Mercedes Rosa Higgins eine Barrister (Rechtsanwältin, die Mandanten vor Gericht vertritt), die von ihrem Solicitor Craig (Rechtsanwalt für außergerichtliche Beratung) unterstützt wird.

 

Der Beschuldigte

Der junge farbige Emmett Hamilton soll während einer Auseinandersetzung mit Weißen den Krankenpfleger Thomas Dove in einem Park niedergestochen haben. Der Schwerverletzte stirbt später an den Folgen. Emmett schwört, die Tat nicht begangen zu haben, obwohl man die Tatwaffe bei ihm findet. Craig und Rosa übernehmen die Verteidigung. Bei einem Morddelikt ist die vorübergehende Freilassung auf Kaution nicht möglich und so kommt Emmett bis zum Prozess in Untersuchungshaft. Im späteren Verlauf erfährt man, dass Dove drogensüchtig und hoch verschuldet war.


Authentische Protagonisten

Der Thriller erzählt abwechselnd in zwei verschiedenen Handlungsebenen. Wir erfahren von der farbigen Anwältin Rosa Higgins, wie sie sich auf ihren ersten großen Fall vorbereitet. Sie ist ehrgeizig, gewissenhaft, hartnäckig und ist von der Unschuld ihres Mandanten überzeugt. Probleme in ihrem sozialen Umfeld belasten sie. Das Leben im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Großmutter und ihrem kleinen Bruder gestaltet sich schwierig. Ihre privaten Pflichten leiden unter ihrer Arbeit.

Rosas Mandant Emmett Hamilton lebt ebenfalls bei seiner Großmutter. Der Junge ist introvertiert und misstrauisch allen gegenüber, die ihm helfen wollen. Er hält Aussagen zurück, die ihn entlasten könnten, aber gleichzeitig seine »Freunde« belasten würden. Man wird den Eindruck nicht los, dass er lieber eine lebenslange Gefängnisstrafe auf sich nehmen will, da er scheinbar um sein Leben fürchtet. Vorurteile gegen Farbige werden thematisiert.

Wilson beschreibt die Charaktere ihrer beiden Protagonisten Rosa und Emmett bildhaft und authentisch. Beide Figuren haben eine schwarze Hautfarbe und gehören somit einer sozialen Minderheiten-Gruppe an.


Eine feindliche Zeugin

Zwei Zeugen belasten Emmett schwer. Sie sagen vor Gericht aus, dass er den weißen Thomas Dove in einem Park niedergestochen hat. Die Beweislage ist nahezu erdrückend und der Fall erscheint aussichtslos. Bei weiteren Recherchen stößt Rosa auf eine Person, die das Geschehen im Park als Augenzeugin verfolgt hat. Sie hat ebenfalls einen Migrationshintergrund und keine Aufenthaltsgenehmigung. Sie hat Angst und möchte vor Gericht daher nicht aussagen. Für den Prozessverlauf ist sie deshalb eine »feindliche Zeugin«.


Wahrheitsfindung ist zweitrangig

Craig gibt der Verhandlung keine großen Aussichten auf Erfolg und wirkt daher eher desinteressiert. Das macht Rosa wütend, denn sie glaubt an die Unschuld von Emmett. Was macht sie da so sicher? Die Wahrheitsfindung in einem Prozess ist zweitrangig. Wichtig ist allein, was bewiesen werden kann und was nicht.


Ethnologie spielt eine wesentliche Rolle

Es ist keineswegs überraschend, dass in Prozessen mit farbigen Angeklagten die ethnische Zugehörigkeit immer ein Thema ist. Schwarze Beschuldigte werden in Polizeiberichten nahezu subtil diskriminiert. Dass der weiße Prozessanwalt Craig nicht mit allem Nachdruck an der Verteidigung seines Mandanten arbeitet, verstärkt diesen Eindruck.


Die Jury

Über die Auswahl und Zusammensetzung der Geschworenen hätte es mehr Input geben können. Ohne große Einwände haben sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf die Jurymitglieder geeinigt. Da es in diesem Prozess nicht viele Zeugen gab, spielten auch Kreuzverhöre nur eine untergeordnete Rolle. Es fällt auf, dass die Jury ausschließlich aus weißen Personen besteht, was einen diskriminierenden Anschein erweckt.


Zweifel an der Berufswahl

Das Prozessende konnte man nicht unbedingt erwarten und bringt durch einen Plot-Twist eine so nicht vermutete Auflösung. Rosa hegt Zweifel, dass sie als Anwältin an der richtigen Stelle ist. Deshalb denkt sie darüber nach, zur Staatsanwaltschaft zu wechseln. Hier hätte sie mehr Macht, um etwas zu verändern. Bei einer größeren Sorgfaltspflicht würden ihrer Meinung nach weniger Fälle vor Gericht landen. Das ist ein interessanter Ansatz.


Fazit

Das Debüt von Alexandra Wilson, selbst Prozessanwältin von Beruf, ist ein Justizthriller mit Potential nach oben. Der Plot ist über weite Strecken gut durchdacht und die Figuren sind weitestgehend authentisch. Auch wenn sie noch nicht das Format eines John Grisham oder eines Steve Cavanagh hat, sollte man diese Autorin im Auge behalten.
Wir erfahren viel darüber, wie das britische Rechtswesen funktioniert. Das beschreibt Wilson detailliert und interessant. Alles, was nicht dazugehört (z.B. private Verbindungen), wird aber ebenso genaustens beschrieben. Das kann man in begrenztem Maße mit einbeziehen, sollte aber im Rahmen bleiben, ansonsten leidet die Spannung darunter.
So bleibt der Spannungsverlauf während der ganzen Zeit nahezu konstant auf einem mittleren Level. Einige Cliffhanger können daran auch nichts ändern. Man vermisst das Pacing.

Mittwoch, 18. Juni 2025

Löhnig, Inge – Der Spieler

Über die Autorin

Inge Löhnig wurde 1957 in München geboren und wuchs in einem Dorf in unmittelbarer Nähe auf. Nach dem Fachabitur studierte sie an der Akademie U5 in München Grafikdesign. Es folgte eine Berufstätigkeit als Artdirectorin in verschiedenen Werbeagenturen.
Das ursprüngliche Hobby Schreiben wurde zum Zweitberuf, als sich 2007 der Ullstein-Verlag für ihre Romane interessierte. Seit 2008 erschienen die Romane um den Kriminalhauptkommissar Konstantin Dühnfort.
Seit ihre Romane regelmäßig auf der SPIEGEL-Online-Bestsellerliste erscheinen, widmet sich Inge Löhnig ausschließlich dem Schreiben. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München.
(Quelle: Wikipedia)


Der Spieler


Kategorie: Kriminalroman – München, Passau, Oslo
Erstausgabe: Paperback (09/24; 448 S.)
Schlagworte: Häusliche Gewalt, Kindesmisshandlung, Inobhutnahme, Rache
Meine Bewertung: ⭐️⭐️⭐️/5


Fortsetzung der Dühnfort-Reihe

Nach einer vierjährigen Pause, in der die Autorin Romane unter ihrem Pseudonym Ellen Sandberg veröffentlicht und die sich Inge Löhnig bei der Kommissar-Dühnfort-Reihe verordnet hat, ist 2024 der 10. Band dieser Serie erschienen. Mittlerweile leitet Dühnfort keine Mordkommission in München mehr, sondern ist stellvertretender Leiter der Operativen Fallanalyse (OFA).


Eine Serie von Mordfällen

Der Kriminalroman erzählt in drei nicht zusammenhängenden Handlungssträngen, die teilweise bis weit in die Vergangenheit zurückreichen. Einer davon ist in chronologisch aufeinander folgende Abschnitte aufgeteilt und jeweils mit »14. Dezember 2021, Binz auf Rügen« überschrieben. Eine Emilia (Emi) Wegemann wird von einem Mann in ihrem Yogastudio überwältigt, gefesselt und mit einem Messer bedroht. Sie soll herausfinden, woher sie ihn kennt, und hat dafür 10 Fragen und drei Joker zur Verfügung. Sollte sie den Mann nicht wiedererkennen, kostet es ihr Leben.

In einem weiteren Handlungsstrang wird von Mordfällen berichtet. Es gibt auffällige Gemeinsamkeiten, die auf einen Serientäter hinweisen. Sehr mysteriös dabei ist der Tod eines deutschen Rentnerehepaares in der Nähe von Oslo, der zunächst wie Selbstmord erscheint. Schließlich ist in einem dritten Handlungsstrang von Jasmin Schneider die Rede, die eine gewaltvolle Kindheit erlebt und mit ihrer Familie gebrochen hat. Damals hat sie Zuflucht in einem Heim gefunden. Sie lebt autark in einer Jurte (Nomadenzelt) in Bayern. Psychologische Elemente bereichern in allen drei Abschnitten den Plot.


OFA hat keine Berechtigung zum Ermitteln

Dühnfort fühlt sich sichtlich unwohl bei der OFA. Er will nicht am Arbeitsplatz sitzen und Fakten zusammentragen, während eine SOKO mit den Ermittlungen feststeckt. Nebenbei ist zu erfahren, dass er bei seinem letzten Fall nur knapp mit dem Leben davongekommen ist und deshalb den Wechsel vollzogen hat, nicht zuletzt aus Liebe zu seiner Familie.


Ermittlungen im Alleingang

Obwohl Dühnfort bei der OFA keine Berechtigung hat, in Fällen selbst die Initiative zu ergreifen und zu ermitteln, forscht er nach und findet weitere Todesfälle, die als Selbstmorde oder Unfälle getarnt sind. Insgesamt fünf Todesfälle weisen im Zeitraum von Oktober 2021 bis September 2023 Gemeinsamkeiten auf. Dühnfort ist überzeugt davon, dass die Morde eine Serie sind, aber niemand seiner Vorgesetzten glaubt ihm. Seine Alleingänge führen zu Kompetenzgerangel und bringen ihm fast ein Disziplinarverfahren ein, obwohl er die richtigen Verbindungen entdeckt hat und miteinander verknüpft.


Privates wird zu stark thematisiert

Die »Beziehungskiste« zwischen Konstantin (Tino) Dühnfort und seiner Frau Gina Angelucci kommt fast in jedem Kapitel an irgendeiner Stelle zur Sprache. Diese beiden Figuren sind ohne Tiefgang entwickelt. Ihre kleine Tochter Chiara ist ebenfalls ein ständiges Thema. Das hat mir am Setting nicht gefallen, ebenso die übertrieben detaillierten Ausführungen an manchen Stellen (z.B.: »Ein Blatt des Ahornbaums segelte auf die Motorhaube, ein zweites folgte und dann noch eines«).


Unübersichtlicher Plot

Viele Figuren erdrücken den Leser fast und lassen diesen Kriminalroman unübersichtlich erscheinen. Einige Personen sind zudem mit vielen Klischees überzogen, was in erster Linie auf die Hauptfigur zutrifft. Der Hinweis auf einen Spielstein eines Brettspiels namens »Tikal« erzeugt zusätzlich Verwirrung. Lediglich an zwei Tatorten wird solch ein Spielstein entdeckt, der aber nicht wesentlich zur Aufklärung der Verbrechen beiträgt. Aus dieser Sicht betrachtet ist der Titel des Romans »Der Spieler« irreführend.


Fazit

Warum liest man eine Serie? Man mag den Protagonisten, seine Ermittlungen und will erfahren, wie sich die Figur weiterentwickelt. Nach dem mittlerweile 10. Fall hat sich diese Reihe meiner Meinung nach abgenutzt. Auch die Tatsache, dass Dühnfort jetzt bei der OFA arbeitet, konnte der Figur keine neuen Impulse verleihen, ganz im Gegenteil.
Der Schreibstil ist angenehm, das Buch lässt sich leicht lesen. Allerdings leidet das Setting darunter, dass das Privatleben zweier Menschen zu sehr in den Vordergrund gestellt wird.
Die einzelnen Handlungsstränge werden schlussendlich vereint, wobei Löhnig keine Fragen offenlässt und alles plausibel erläutert. 
Wer sich gut unterhalten lassen und kein brutales Blutvergießen erfahren möchte, der ist hier richtig. Auch wenn die Autorin eine Fangemeinde zu haben scheint, konnte mich dieses Buch nicht überzeugen.

Donnerstag, 5. Juni 2025

Fox, Candice – Devil's Kitchen

Über die Autorin

Candice Fox stammt aus einer eher exzentrischen Familie, die sie zu manchen ihrer literarischen Figuren inspirierte. Nach einer nicht so braven Jugend und einem kurzen Zwischenspiel bei der Royal Australian Navy widmet sie sich jetzt der Literatur, mit akademischen Weihen und sehr unakademischen Romanen. Für den ersten und zweiten Teil ihrer Trilogie, »Hades« (2014) und »Eden« (2015), sowie für ihren »Thriller 606« (2022) wurde sie mit dem Ned Kelly Award ausgezeichnet.
(Klappentext © Suhrkamp Verlag Berlin, 2025)


Devil’s Kitchen


Kategorie: Thriller – USA, New York
Erstausgabe: Paperback mit Klappentext (04/25; 431 S.)
Schlagworte: 9/11, Entführung, Undercover-Einsatz, Infiltrierung
Meine Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️/5


Wer steckt hinter dem Verräter?

Der Einstieg in diesen Thriller beginnt mit einer Enttarnung und einem Verräter. Hier stehen zwei Leben auf dem Spiel und man erfährt zunächst nicht, wie es ausgeht. Das steht ganz am Anfang, bezieht sich aber auf einen Zeitpunkt drei Monate nach dem Beginn der eigentlichen Erzählung.


»Engine 99«

Die New Yorker Feuerwehreinheit »Engine 99« hat ihre ganz eigene Berufsauffassung. Sie löscht nicht nur Brände und rettet Menschen. Sie legt die Brände teilweise selbst, um in dem entstehenden Chaos Banken und Juweliergeschäfte auszurauben. Dabei schreckt sie selbst vor Mord nicht zurück. Eine weitere Masche der Truppe besteht darin, dass sie pro Jahr drei bis vier Großbrände legt und löscht. Wenn es einen Verdacht auf Brandstiftung gibt, dann werden die Besitzer erpresst, damit sie für die Beseitigung der Beweise einen Anteil zahlen.


Starke Figurenzeichnung mit Tiefe

Die Figurenzeichnung und Charakteristika von »Engine 99« hat Fox überzeugend herausgearbeitet. Es sind allesamt zwielichtige und toxische Figuren. Der Chef der Truppe ist Matthew Roderick. Matt ist einer der wenigen Einsatzkräfte, die bei 9/11 lebend die Twin Towers verlassen haben. Seitdem leider er unter Verfolgungswahn, hat Albträume und steckt voller Wut. Diese Wut lässt er auch an den Mitgliedern der Truppe aus. Keiner traut sich, seinen Anweisungen zu widersprechen.


Der Außenseiter in der Truppe

Benjamin Haig ist eigentlich ein gewissenhafter Feuerwehrmann, der Leben retten will (wie ist er in diese Truppe überhaupt hineingeraten?). Mit seiner Freundin Luna und deren kleinem Sohn Gabriel läuft es sehr gut - bis die Beiden plötzlich spurlos verschwunden sind. Ben hat Angst, dass Luna hinter seine Machenschaften gekommen ist. In seiner Verzweiflung wendet er sich an die Polizei und gibt gleichzeitig einen Hinweis auf die Überfälle. Die Polizei leitet die Informationen weiter an das FBI.


Wer steckt hinter dem Decknamen?

Andy Nearland ist nicht ihr richtiger Name und sie ist keine offizielle Mitarbeiterin des FBI. Sie ist zielstrebig und hat die Power, sich bei einer chauvinistischen Truppe  von Feuerwehrleuten durchzusetzen. Das wird erst nach und nach deutlich. Aus diesem Grund setzt sie der FBI-Agent Tony Newler als »Spezialermittlerin« auf den Fall an. Das Verhältnis zwischen Tony und Andy ist ambivalent. Newler verfolgt ein ganz eigenes Ziel. Er möchte den Mörder von Officer Ivan Petsky überführen, der bei einem der Raubzüge der Feuerwehrcrew erschossen wurde. Andy soll Undercover ermitteln und die Mannschaft infiltrieren. Von Beginn an stößt sie auf Misstrauen bei den Feuerwehrleuten.


Was verbindet Ben mit Andy

Sowohl Ben als auch Andy haben eine schwierige und traumatische Kindheit hinter sich. Nach und nach erfahren wir in verschiedenen Zeitebenen etwas über die Vergangenheit und deren Entwicklung. Ben wird Andys Bezugsperson sein, um neben der Suche nach Luna und Gabriel die Machenschaften der anderen Feuerwehrleute aufzudecken. Sie muss Ben immer wieder an die Vereinbarung zwischen ihm und dem FBI erinnern. Andy fahndet nach Luna und Gabriel und im Gegenzug soll Ben dafür sorgen, dass die Mannschaft vom FBI hochgenommen werden kann.


Zwei überzeugende Handlungsstränge

Zwei Themenkomplexe ziehen sich durch die gesamte Handlung. Der eine ist der Suche nach Luna und Gabriel gewidmet und der zweite Themenkomplex befasst sich mit den Raubzügen der Feuerwehrleute von »Engine 99« nach den zuvor selbst gelegten Bränden.


Fazit

Die Australierin Candice Fox ist mittlerweile eine der weltbesten Thrillerautorinnen. Ihre Bücher sind von Beginn an spannungsgeladen und zeichnen sich durch ein hohes Pacing aus. Die Handlung bei Devil’s Kitchen ist sowohl tempo- als auch actionreich. Verrückte Dialoge mit viel Witz und starken Twists bereichern diesen Plot.
Der Thriller sorgt von Beginn an für viel Verwirrung. Und das liegt weniger an der überschaubaren Figurenanzahl als an den schnell aufeinanderfolgenden Handlungssprüngen.
Der Plot ist überzeugend, wenn auch das Verbleiben von Luna und Gabriel leicht konstruiert wirkt. Das Setting erweist sich als schwierig, aber nachvollziehbar. Diesen Thriller mit Blockbuster-Feeling sollte man sich nicht entgehen lassen.

Mittwoch, 28. Mai 2025

Dean, Will – Die Kammer

Über den Autor

Will Dean studierte an der London School of Economics und arbeitete einige Zeit in London, bevor es ihn der Liebe wegen nach Schweden zog, wo er heute mit seiner Familie ein Holzhaus mitten im Wald nördlich von Göteborg bewohnt. Mit »Die Kammer« erscheint erstmals einer seiner im englischsprachigen Raum vielbeachteten Stand Alone Thriller auf Deutsch.
(Klappentext © Hoffmann und Campe Verlag Hamburg, 2025)


Die Kammer


Kategorie: Thriller – Vereinigtes Königreich, Schottland
Erstausgabe: Paperback (03/25; 400 S.)
Schlagworte: Sättigungstaucher, Ölpipeline, Klaustrophobie, Dekomprimierung
Meine Bewertung: ⭐️⭐️⭐️/5


Thriller mit Startschwierigkeiten

Nachdem von Will Dean »Totenstille« (2019) und »Totenwinter« (2020) bereits zwei Kriminalromane in Deutsch erschienen sind, ist nun mit »Die Kammer« erstmals ein deutschsprachiger Stand Alone Thriller von ihm erschienen. Im englischsprachigen Raum sind seine Thriller viel beachtet. 

Der Plot beginnt langatmig und hat mit einem Thriller wenig gemein. Der Inhalt gleicht eher einem Sachbuch. Hier kann das Buch nicht punkten.


Sechs Berufstaucher, darunter eine Frau

Die Geschichte wird von der Protagonistin Ellen Brooke erzählt. Sie ist die einzige Frau an Bord einer Dekompressionskammer, die insgesamt aus sechs Tauchern besteht. Alle außer dem jungen »Tea Bag« mit bisher nur zwei Tauchgängen sind erfahrene Tiefseetaucher. In den ersten Kapiteln erfahren wir mehr darüber, wie die Arbeit und das Leben als Berufstaucher in großer Tiefe ablaufen. Diese melden sich für diesen gefährlichen Job, weil er viel Geld einbringt.


Figuren mit einer Ausnahme ohne Tiefe

Die Figurenzeichnung bleibt mit Ausnahme der Protagonistin Ellen Brooke blass. Man kann sich ein gutes Bild über deren bisheriges Leben machen. Sie sehnt sich nach ihrem Mann und ihren beiden Kindern, bevor man plötzlich erfährt, dass alle drei bei einem Unfall ums Leben gekommen sind. Die innere Zerrissenheit wird deutlich, um mit der Situation umzugehen. Brooke wird mit der Zeit immer paranoider.


Ein einziger Tauchgang

Bei einem ersten Tauchgang von Ellen und André zur Überprüfung einer Ölpipeline irgendwo in der Nordsee kommt es fast zu einem Unglück, weil sich der Versorgungsschlauch von Ellen verhakt und ein Ventil in der Glocke defekt ist. Weitere Tauchgänge finden aufgrund des plötzlichen Ablebens des jungen Tea Bag gefolgt von weiteren mysteriösen Todesfällen nicht statt.


Eine psychische Zerreißprobe

Die Stimmung in der nur wenige Quadratmeter großen Dekompressionskammer an Bord der DSV Deep Topaz ändert sich von gereizt bis ängstlich. Die Crew soll eine Fernautopsie bei Tea Bag durchführen und dem Leichnam Körperproben zur Bestimmung der Todesursache entnehmen. Das stellt eine enorme psychische Belastung für die Taucher dar und wird auch gut vom Autor beschrieben. Die schottische Polizei befragt die Crew-Mitglieder über Funk einzeln und getrennt voneinander, was zusätzlich für Unsicherheit sorgt.

Nach dem mysteriösen Todesfall des zweiten Tauchers zieht die Spannung an. Es entwickelt sich ein echter Locked Room-Thriller. Die verbleibenden Taucher werden spürbar nervöser, auf engstem Raum vergleichbar mit einem Kleinbus unter klaustrophobischen Verhältnissen und zwei Leichen in der Nähe. Zunächst der Sturm, das defekte Ventil, zwei erfolglose Wiederbelebungsversuche, die Befragung durch die Polizei und dann Tea-Bags Überführung in das Rettungsboot tun ihr Übriges.


Klaustrophobisches Szenario

Die Stimmung unter den verbleibenden Tauchern schlägt um. Was könnte zum Tod der Taucher geführt haben und woher kommt die Gefahr? Mord, Totschlag oder grobe Fahrlässigkeit? Müdigkeit gepaart mit Angst macht sich breit. Keiner möchte mehr etwas essen oder trinken, und es dauert noch Tage, bis die Dekomprimierung abgeschlossen ist und man diesen metallischen Sarg verlassen kann. Ein plötzliches Öffnen der Luke würde ohne Druckausgleich zu Gasblasen im Körperinneren führen. Das hat der Autor realitätsnah beschrieben.

Gegenseitige Verdächtigungen häufen sich, keiner traut mehr dem Anderen. Die Gefahr um Leib und Leben wächst, die psychische Anspannung auf engstem Raum ohne Ausweichmöglichkeiten nimmt zu. Das Ende wirkt konstruiert und hinterlässt beim Leser Staunen und Unverständnis.


Gefahren beim Berufstauchen

In einem Glossar am Ende des Buches werden allgemein verwendete Begriffe des Sättigungstauchens erläutert. Diese Seiten zum Nachschlagen tragen dazu bei, die Materie besser zu verstehen.

Tauchunfälle und Tauchanekdoten vergangener Einsätze werden eingestreut. Die waren fast über die ganze Welt verteilt, und man erfährt dabei über Unglücke und Todesfälle aus dieser Zeit. Das bremst immer wieder die Spannung aus.


Fazit

Das Buch hat sowohl Stärken als auch Schwächen. Die Gefahren beim Tiefseetauchen und viele technische Begriffe speziell beim Sättigungstauchen werden vom Autor authentisch und leicht verständlich beschrieben. Das Setting ist düster, aber stimmig. Fehlendes Pacing ist ein Schwachpunkt in diesem Thriller. 
Es gibt Unregelmäßigkeiten in den Beschreibungen, die evtl. auf eine mangelhafte Übersetzung zurückzuführen sind. Im Todesfall von Tea-Bag untersucht die Grampian Police den Fall. Diese territoriale Polizei der nordöstlichen Region Schottlands wurde bereits 2013 durch die Police Scotland abgelöst. Bei einem »Procurator Fiscal« handelt es sich nicht um einen Rechtsmediziner, wie irrtümlich beschrieben wird, sondern um einen schottischen Staatsanwalt.
Auch wenn der bekannte Tiefseetaucher Hans-Jürgen Strickling (49) dieses Buch als wirklichen Pageturner bezeichnet, so kann ich dem nicht ganz folgen.