Montag, 28. Oktober 2024

Petermann, Axel u. Mattfeldt, Petra – Im Kopf des Bösen - Ken und Barbie

Über die Autoren

Axel Petermann ist Deutschlands bekanntester Profiler. Er war Leiter der Mordkommission sowie der Dienststelle »Operative Fallanalyse« in Bremen. Als Dozent für Kriminalistik lehrt er seit vielen Jahren an verschiedenen Hochschulen in Deutschland. Als Fachberater für das Fernsehen und als Moderator der ZDF-Reihe »Aufgeklärt – Spektakuläre Kriminalfälle« ist der SPIEGEL-Bestsellerautor einem breiten Publikum bekannt. Axel Petermann hat drei Söhne und lebt mit seiner Frau bei Bremen.
Petra Mattfeldt ist eine deutsche SPIEGEL- und »Bild«-Bestsellerautorin, die bereits unter ihrem Namen, aber auch unter diversen Pseudonymen veröffentlicht hat. Nach einer Ausbildung zur Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten arbeitete sie als freie Journalistin. Inzwischen ist die Schriftstellerei ihr Hauptberuf. Sie ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in der Nähe von Bremen.
(Klappentext © Blanvalet Verlag München, 2024)


Im Kopf des Bösen – Ken und Barbie

Ausgabe: Paperback mit Klappentext (06/24; 272 S.)

Meine Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️


Ein Pakt mit dem Teufel

Axel Petermann hat fast vier Jahrzehnte als Ermittler in einer Mordkommission gearbeitet. Er ist einer der bekanntesten Profiler und Fallanalytiker Deutschlands. Zusammen mit der Autorin Petra Mattfeldt hat er diesen realen Kriminalfall der Zeitgeschichte ins »Heute« umgesetzt. Der Fall ist angelehnt an das von der Presse genannte Serienkillerpaar Ken und Barbie, der sich in den neunziger Jahren in Kanada ereignet hat. Die Namen und Figuren wurden von den Autoren frei erfunden.


Im Sommer des Jahres 2023 gibt der Rhein infolge von Niedrigwasser ein grausames Geheimnis preis. Eine in Beton gegossene Frauenleiche kommt zum Vorschein. Dieser Leichenfund führt dazu, dass die Polizei eine Reihe ungeklärter Fälle von vermissten Frauen untersucht. Dabei fällt auf, dass es sich immer um junge Frauen handelt, zierlich, lange blonde Haare ohne auffälliges Make-Up. Die Frauen wurden zum Teil tot aufgefunden oder bleiben vermisst.

Da die Kölner Kriminalpolizei bei ihren Ermittlungen feststeckt, fordert sie Hilfe vom BKA an. Zur Unterstützung kommen die BKA-Profiler Sophie Kaiser und Leonhard Michels hinzu. Sophie leidet am Asperger-Syndrom, wovon nur ihr Kollege Leonhard Bescheid weiß. Diese Krankheit verleiht ihr die Gabe, Inhalte fotografisch über einen langen Zeitraum abzuspeichern und Sachverhalte anders einzuordnen. Das Kontakt- und Kommunikationsverhalten kann dadurch merkwürdig und ungeschickt erscheinen.

Sophie reißt gerne die Ermittlungen an sich. Ihr Kölner Kollege Greger kann mit der Situation nicht umgehen. Immer wieder kommt es im Laufe der Ermittlungen zu Reibereien und Kompetenzgerangel.

Da Fallanalytiker bei ihren Ermittlungen einen anderen Ansatz verfolgen als »normale« Mordermittler, gehen Kaiser und Michels von einem Serientäter aus, der ebenso ein Triebtäter ist. Dieser ist vollkommen von sich und seinen Handlungen überzeugt. Er braucht immer wieder neue Frauen, um seinen Trieb zu befriedigen.

Die Frauen werden wochenlang gefangen gehalten, gefesselt in der Wohnung und immer und immer wieder vergewaltigt. Wenn er genug von ihnen hat, tötet er sie. Auch seine Partnerin weiß darüber Bescheid und ist lange Zeit an seiner Seite - sie unterstützt ihn sogar bei seinen Handlungen - fotografiert und filmt die Taten.

Es werden Erzählstränge von Opfern und vom Täter in kursiver Schreibweise eingefügt, was der Handlung zugutekommt und sie übersichtlicher macht.

 

Fazit:

Was man bei polizeilichen Ermittlungen unter operativer Fallanalyse (OFA) versteht, darüber gewährt uns Petermann einen Einblick. Ein sehr anschauliches Beispiel dafür liefert uns die BKA-Fallanalytikerin Kaiser. In über zweieinhalb Seiten Text analysiert sie ihren Kölner Kollegen Kriminaloberkommissar Christoph Greger, um ihm zu zeigen, wie Fallanalyse funktioniert.
Die Schilderung der Ermittlungen wird durch die Beschreibung der zwischenmenschlichen Beziehungen von Sophie und Leonhard ergänzt und bereichert. Das Asperger-Syndrom von Sophie wird häufig thematisiert und anhand von Beispielen erläutert.
Der Schreibstil wirkt auf mich eher nüchtern und sachlich. Er ähnelt in weiten Teilen einem Polizeibericht. Es gibt wenig Spannungsmomente. Aber das Buch liest sich leicht verständlich, die Darstellung kommt authentisch rüber. Das Autorenpaar Petermann/Mattfeldt hat es verstanden, den wahren Kriminalfall in eine fiktive Handlung umzusetzen. Ich vergebe 4 Sterne.
In einem Nachwort werden die Taten des tatsächlichen kanadischen Serienkillerpaares Paul Bernardo und Karla Homolka in ihrer ganzen Brutalität erwähnt.

Donnerstag, 17. Oktober 2024

Meyer, Chris – Der Schlachter (T. Bachmann, 4)

Über die Autorin

Chris Meyer fasziniert die Frage, warum ein Mensch zum Serienmörder wird. Die Thriller mit Tom Bachmann sind eine Annäherung an die Psyche der Killer und der Opfer. Die geschilderten Taten sind erschreckend oft dichter an der Realität als man hofft.
Mit Familie und Hund lebt Chris Meyer in Köln, ein schöner Ort, um Abstand zu finden.
(Innenseite © Ullstein Buchverlage GmbH Berlin, 2024)


Der Schlachter

Ausgabe: Taschenbuch (08/24; 384 S.)

Meine Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️


Die Stimme aus dem Off

Dies ist bereits der vierte Fall aus der Tom-Bachmann-Reihe und erst der vierte Thriller von Chris Meyer überhaupt. Alle vier Thriller sind in sich abgeschlossen.

Immer wenn ein Tötungsdelikt vorliegt, das keinem normalen Muster wie bspw. Vergiften, Erschießen oder Erwürgen entspricht, zieht die Kriminalpolizei den BKA-Profiler und Fallanalytiker Tom Bachmann zur Aufklärung hinzu. Keiner kann sich besser in die Psyche und das Denken eines Täters hineinversetzen als er.


Auf einem Wochenmarkt wird am Stand eines Fleischers eine schrecklich zugerichtete Leiche entdeckt. Dem Toten wurde ein Stück Fleisch aus seinem Körper fachmännisch entfernt. Tom ist überzeugt davon, dass es sehr wahrscheinlich nicht bei einem Opfer bleiben wird und dass es einen Bezug zu einem Schlachter oder einer Metzgerei geben muss.

Der Polizei und selbst Tom fällt es jedoch schwer, ein entsprechendes Täterprofil zu erstellen. Serienmörder ohne traumatische Kindheit und selbst erlebte Gewalt gibt es selten. Die Hälfte davon leidet an einer schizoiden Persönlichkeitsstörung. So ist es auch in dem hier geschilderten Fall. Der Täter hört immer wieder die Stimme einer ihm bekannten Person. Die Stimme suggeriert ihm, was er alles falsch macht und was für ein Schwächling er ist.

Wir treffen auf zwei Handlungsstränge. Ein Neben-Handlungsstrang liegt zurück und datiert aus dem Jahr 1986 und erzählt von den ehemaligen Heimkindern Aaron, Lisa, Justus, Yvonne und Tom. Sie alle wurden von Toms sadistischem Vater Dr. Bachmann als Heimleiter zu kleinen »Monstern« herangezogen.

Als Erwachsener leidet Tom unter Albträumen, in denen Flashbacks aus seiner Kindheit auftauchen. Ganz im Gegensatz zu zwei anderen Mitgliedern der Clique ist es Tom trotzdem gelungen, das Trauma einigermaßen zu kompensieren bzw. zu verdrängen.

Tom ist nicht der Typ, der Kollegen mag oder nicht. Er pflegt keinen sozialen Austausch mit den Mitarbeitern. Tom kann schlecht eine Beziehung zu anderen Menschen aufbauen, sei es privat oder im Beruf – er beherrscht die soziale Klaviatur nicht.

Den Haupt-Handlungsstrang, der in der heutigen Zeitrechnung spielt, muss man in zwei Bereiche aufteilen. Da erfahren wir zum einen, wie Toms ehemals bester Freund Aaron und auch Lisa die schrecklichen Kindheitserlebnisse verarbeitet haben. Sie üben auf grausame Weise Selbstjustiz an Personen, die für ihr begangenes Unrecht nicht bestraft wurden. Tom gerät immer wieder in einen Zwiespalt, denn er kennt deren strafbares Handeln. Dennoch deckt er sie, da es seine Freunde waren.

Verschiedene Spuren werden verfolgt, wobei es mehrere Verdächtige gibt. Das sorgt für zusätzliche Spannung im Setting. Am Ende dieses Thrillers wird Tom Bachmann das merkwürdige Gefühl nicht los, dass er etwas übersehen hat. Hier hat die Autorin einen wunderbaren Cliffhanger platziert, der mit Spannung auf die Fortsetzung hoffen lässt.

 

Fazit:

Wer temporeiche Thriller mit viel Dynamik mag und dabei nicht vor Gewalt und Brutalität zurückschreckt, der ist hier genau richtig. Das abgrundtief Böse kommt eindrucksvoll zum Ausdruck. Während des ganzen Buches gibt es keinen Spannungsabfall. Im Gegenteil, insbesondere zum Ende hin erzeugen Plot-Twists eine Zunahme der Spannungskurve.
Viel ist nicht über die Autorin bekannt. Vielleicht ist der Name Chris Meyer lediglich ein Pseudonym. So präzise und ausführlich, wie sie über Psychopathen und Serienmörder schreibt, kann man vermuten, dass sie sich von Berufs wegen mit dieser Materie befasst. Wie bei allen ihrer bisher erschienen Thriller gibt es am Ende keine Danksagung, wie wir es sonst von anderen Autorinnen und Autoren kennen. Hat das vielleicht etwas damit zu tun, dass sie ihre Anonymität bewahren will?
Chris Meyer besticht wie in ihren bisherigen Thrillern durch eine flüssige Schreibweise und ein klares Setting. Für mich ein Pageturner, den ich mit fünf Sternen bewerte.

Donnerstag, 10. Oktober 2024

Michael Tsokos - Mit kaltem Kalkül (S. Yao, 2)

Über den Autor

Michael Tsokos, geboren 1967 in Kiel, ist Professor für Rechtsmedizin und international anerkannter Experte auf dem Gebiet der Forensik. Seit 2007 leitet er das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berlin. Seine bisher 27 Bücher sind allesamt Bestseller und wurden bereits mit hochkarätiger Besetzung verfilmt. Mit über 600 000 Followern auf Instagram und seinen bundesweiten Vorlesungen zur Rechtsmedizin fesselt er seit Jahren seine Follower, Fans, Leser und Zuschauer.
(Klappentext © Verlagsgruppe Droemer Knaur München, 2024)


Mit kaltem Kalkül

Ausgabe: Paperback mit Klappentext (09/24; 368 S.)

Meine Bewertung: ⭐️⭐️⭐️


Ein Wettlauf gegen die Zeit

Dies ist der zweite Fall für die zierliche Deutschchinesin Dr. Sabine Yao. Sie ist stellvertretende Leiterin der Rechtsmedizin beim Berliner BKA. Ihr Vorgesetzter Prof. Paul Herzfeld und sie arbeiten zusammen bei der Spezialeinheit »Extremdelikte«. Bei diesem Rechtsmedizin-Thriller handelt es sich um die fiktionale Erzählung eines echten Kriminalfalls.

Wir erfahren zunächst von zwei entstellten Toten, die im Wald an einem Gestell ähnlich einem Galgen hängen. Außerdem wird von einem Einsatz eines SEK-Kommandos berichtet, das irrtümlich in eine falsche Wohnung eindringt und ein altes Rentnerehepaar zu Tode erschreckt. Später im weiteren Lauf steht bei der Spezialeinheit »Extremdelikte« der Tod des ehemaligen Polizeipräsidenten von München auf der Tagesordnung. Was hat das mit dem eigentlichen Fall zu tun, gibt es überhaupt Zusammenhänge? Werden wir mehr darüber erfahren?

Hier soll wohl die Arbeit der Rechtsmedizin thematisiert werden. Der Autor lässt uns wieder einen ausführlichen Blick hinter die Kulissen der Rechtsmedizin werfen, in vielen Fällen für mein Empfinden zu ausführlich, was zu einem Spannungsabfall führt (Bsp.: detaillierte Beschreibung von Sabine Yao, wie und warum eine Tür zum Sektionssaal so und nicht anders geöffnet wird). Spannung kommt erst seit gefühlten 130 Seiten auf – zu wenig für einen Thriller.

Bei dem Fall, um den es hier geht, ist ein kleiner Junge aus der High-Deck-Siedlung in Berlin-Neukölln verschwunden. Berlins schlimmste Siedlung entstand in den 1970er und 1980er Jahren im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus und ist ein Brennpunkt. Der achtjährige Yasser Khaleb lebt dort zusammen mit seiner Mutter, offensichtlich sind sie nicht gemeldet bei den Behörden. Deshalb beauftragt Yassers Mutter den jordanischen Ex-Geheimdienstler Hassan Khalaf mit der Suche nach ihrem verschwundenen Sohn. Wie es zu diesem Kontakt kam, bleibt ungewiss.

Als Hassans Nachforschungen mehr oder weniger ins Leere laufen, beauftragt er Yassers Mutter, die Polizei einzuschalten.

Es wird deutlich, dass Tsokos Wert darauflegt, seine Figuren präzise zu beschreiben. Für ihn ist Hassan Khalaf ein arroganter und überheblicher Einzelgänger. Er hat keine Familie, das würde ihn verletzlich und angreifbar machen. Die Darstellung des skurrilen Rechtsmediziners Oberarzt Dr. Martin Scherz hat mir gefallen. Das Verhältnis zwischen Sabine Yao und ihrer Schwester Mailin kommt wie im ersten Band zur Sprache. Mailin ist weiterhin sehr labil und hatte schon einmal Alkoholexzesse, Wutausbrüche, autoaggressives Verhalten mit Verletzungen bis hin zu einem Suizidversuch.

Aber muss man Charakteren wiederholt Adjektive wie die »italienischstämmige Ermittlerin« (Kommissarin Monica Monti) oder der »ehemalige jordanische Geheimdienstler« (Hassan Khalef) zuordnen? Das ist nervig.

Wir bekommen einen Einblick in die vielfältigen Aufgaben der Kriminalistik und der Kriminologie. Sei es aus dem Bereich der Rechtsmedizin, der filigranen Arbeit im Sektionssaal, der Lageeinsatzbesprechung der Kriminalpolizei oder der operativen Fallanalyse. Das ist zwar interessant, lässt aber weniger Spielraum für Thrillersequenzen.


Fazit:

Was ist der Modus Operandi? Das wurde zum Ende hin kurz angerissen. Auch die anfangs erwähnten Fälle werden noch einmal aufgegriffen, um sie aber schnell abzuhandeln.
Dass mit Prof. Dr. Michael Tsokos eine Koryphäe auf dem Gebiet der Rechtsmedizin schreibt, ist unverkennbar. Bei einem Thriller erwarte ich allerdings mehr Spannungsmomente zum eigentlichen Fall.
Die Kapitel sind mit wenigen Ausnahmen kurzgehalten und enden mit einem Cliffhanger, um im folgenden Kapitel unmittelbar eine Fortsetzung zu finden. Die Kapitel bestehen aus zwei Handlungssträngen, die zum Ende hin zusammengeführt werden. Plot-Twists gab es allerdings so gut wie keine.
Mit dem Begriff »Kalkül« im Titel kann ich nicht viel anfangen. Wo und durch wen liegt hier die Berechnung?
Dieses Buch fällt ab gegenüber dem ersten Band »Mit kalter Präzision« und konnte mich nicht überzeugen. Um es auf den Punkt zu bringen: Zu wenig Thriller, zu viel Rechtsmedizin. Ich vergebe daher nur 3 Sterne.